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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Sprechen, musste ihnen Zeit geben, ihre Gedanken beim Reden zu verfertigen. Je einfacher die Leute waren, desto mehr Raum und Zeit brauchten sie, und es gab zwei Typen von Informanten. Manchen konnte er mit Fragen helfen, ihre Geschichte zu entwickeln, sie brauchten kleine Hilfestellungen wie Kinder beim Schulturnen. Andere wurden durch Fragen eher gestört und verwirrt. Es war immer ein neues Spiel für Kirchner herauszufinden, mit welchem Typ Mensch er es zu tun hatte.
    Dieser alte Fischer hier war ein einfacher Mann, und er gehörte eher zu den Erzählern, die keine Fragen brauchten. Er rang nur gerade damit, wem er mehr vertrauen sollte, den vier Polizisten der Republik oder dem Fremden neben sich.
    Kirchner schwieg.
    »Na gut«, sagte der Fischer schließlich, »also, am Anfang hieß es, dass ein Unfall passiert ist. Eine gekenterte Jacht, solche Sachen, es wären Leute über Bord gegangen, aber am Anfang geht ja immer alles durcheinander, wie? Die Wahrheit ist, dass da überhaupt keine Jacht war, was sollte die auch da draußen mitten in der Nacht. Die Wahrheit ist«, der Alte machte eine Pause, in der Kirchner das Wummern der Dieselmaschine und das Radio nicht mehr hörte, gespannt und konzentriert, wie er war, »die Wahrheit ist, dass der Schwiegersohn vom alten Moreau auf Seezungen gegangen war, vorgestern Nacht. Er hatte seine Schleppnetze draußen, um die Burschen vom Grund zu kratzen, und als seine Leute zum dritten Mal weggefiert hatten und alles wieder hochzogen an Deck, da hatte er die Leiche als Beifang, so war das.« Und als müsste er Kirchner von der unumstößlichen Gültigkeit dieser Version überzeugen, fügte er nach einer kurzen Pause an: »Moreau hat’s mir selber erzählt. Sein Schwiegersohn sagt gar nichts mehr, der steht unter Schock.«
    Kirchner nickte wortlos. Er machte ein anerkennendes Gesicht und atmete tief durch. »Üble Geschichte.«
    »Ganz üble Geschichte«, bestätigte der Fischer, »du musst dir mal den Schock vorstellen, wenn du auf Fisch wartest und einen Toten im Netz hast. Dass das auch noch ein Minister war, wusste man da noch nicht mal.«
    »Wo haben sie ihn denn rausgezogen?«, fragte Kirchner.
    »Das war gar nicht weit von hier, vielleicht noch eine halbe Seemeile weiter Richtung Südsüdwest.«
    Der Kutter war jetzt seit gut einer Stunde mit halber Kraft voraus aufs Meer hinausgefahren, ringsum schwappte die See, das Festland war weit.
    »Wie konnte der Minister denn hierher geraten?«, fragte Kirchner.
    »Na ja, ich sag mal, geschwommen ist er nicht. Und die Strömung hier, die geht eigentlich nicht vom Becken weg, sondern ins Becken hinein.«
    Moreaus Schwiegersohn hatte nach dem grausigen Fund die Küstenpolizei alarmiert und war geradewegs nach Arcachon zurückgefahren, so ging die Version, die der alte Fischer kannte. Die Leiche war nicht weiter aufgedunsen, sie hatte also nicht lange im Wasser getrieben. Ein Beamter des Empfangskomitees an der Hafenmole erkannte als Erster, wer der Tote war, und daraufhin hatten die beteiligten Behörden eine sofortige Nachrichtensperre verhängt. Den Fischern wurde eingebläut, den Mund zu halten und abzuwarten, sie würden über die laufenden Ermittlungen informiert. Die Leiche wurde nach Bordeaux gebracht, in die Klinik benannt nach dem heiligen Antonius von Padua, und lag dort mutmaßlich noch immer im Kühlraum.
    Welche Ergebnisse die Obduktion gebracht hat, müsste herauszufinden sein , dachte Kirchner.
    »Weißt du was?«, sagte er zu dem Kutterkapitän neben sich. »Ich glaube, ich muss jetzt zurück an Land. Kannst du mich wieder in Arcachon absetzen? Ich bezahl dir auch den Diesel für diese Spritztour. Und heute Abend gehen wir essen, na ja, wenn dafür Zeit ist.«
    »Wird gemacht«, sagte der Alte und drehte den Kutter Richtung Nordost, Kurs Arcachon. »Aber du schreibst nicht, dass ich dir das erzählt habe.«
    »Natürlich nicht, keine Sorge.«
    Zurück an Land steckte Kirchner das Laptopkabel in den Zigarettenanzünder seines Landrovers, fuhr den Rechner hoch und suchte sich die Telefonnummern zusammen, die er brauchte. Er suchte nach Decayeux vom Austernzuchtverband und nach Moreau, dem Schwiegervater jenes Fischers, der die Leiche angelandet hatte. Decayeux war einfach, aber Moreaus gab es gleich sechsundzwanzig Mal in den Dörfern rund um das Becken. So oder so war es noch zu früh, bei ihnen anzurufen, aber er konnte sich ja jetzt schon aufmachen in ihre Richtung und dabei die Gegend weiter erkunden.
    Die
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