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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Küstenlinie des Beckens zog sich hin, die Straßen waren schmal, von der Stadt Arcachon bis zur Spitze drüben in Cap Ferret war man leicht eineinhalb Stunden lang im Auto unterwegs, und noch viel länger, wenn dichter Verkehr herrschte, was fast immer der Fall war.
    Kirchner wollte gerade den Motor anlassen, als er draußen noch einmal den alten Fischer mit seinem Enkelsohn sah. Er zog hastig den Schlüssel ab und stieg wieder aus.
    »Wartet mal!«, rief er ihnen hinterher. »Mir fällt grade noch was ein.«
    Als sie wieder beieinanderstanden, fragte Kirchner, wie der Fischer Moreau mit Vornamen hieß.
    Der Alte sagte: »Na, Arthur heißt der, Arthur Moreau.«
    Dann wandte sich Kirchner direkt an den jungen Fischer und fragte: »Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit dem Minister und der Friseurin?«
    Der Junge grinste schief. »Keine Ahnung … na ja … es gab immer so Gerede.«
    »Was denn für Gerede?«
    »Ach, seit die Politiker hier alle Urlaub machen, sagt immer irgendeiner, dass der oder der eine Geliebte hier hat.«
    »Und? Was ist da dran?«
    »Das weiß eben keiner«, antwortete der junge Fischer.
    »Also du weißt nichts darüber?«
    »Nee … na ja … nur das, was alle wissen.«
    »Und was wissen denn alle?«
    »Es hat wohl vor einem Jahr oder so mal eine Party gegeben, drüben in Le Canon, da sollen reihenweise Minister dabei gewesen sein, ein paar Mädchen von hier … und eine ganze Fuhre Nutten aus Bordeaux.«
***
    Es ging auf sieben Uhr zu, die Sonne stieg über dem meerumspülten Arcachon auf, und ein warmer Herbsttag begann, als Kirchners Blackberry läutete, mit Pelletons Erkennungsmelodie.
    Kirchner hatte für seinen Chef die Marseillaise ins Mobiltelefon eingespeichert, und nun röhrte das Telefon Allons, enfants, de la patrie …
    Er nahm ab. »Henri, guten Morgen! Dich hab ich ganz vergessen gestern.«
    Pelleton war blendender Laune, spielte aber beleidigt. »Ich serviere dir eine neue Großreportage, und du hältst es nicht für nötig, dich zu melden. Ich hoffe, das liegt daran, dass du vor lauter Arbeit nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht.«
    Kirchner berichtete seinem Chefredakteur, was er in Arcachon schon gesehen und erlebt hatte. Von den Fischern, seinem Abendessen in Gegenwart der Honoratioren, seiner Kutterfahrt, von den Geheimdienstlern und den Nutten aus Bordeaux.
    »Nutten aus Bordeaux?«, rief Pelleton begeistert ins Telefon. »Also drucken wir heute?«
    »Vergiss es, Henri, ich brauche hier noch ein paar Tage.«
    »Ein paar Tage? Weißt du noch, dass wir kein Monatsmagazin sind? Und wenn uns jemand abschießt?«
    »Uns schießt keiner ab, Henri«, sagte Kirchner. »Solange Lacombe in Paris nicht vermisst wird, sind wir mit der Geschichte ganz allein. Und sie wird mit jeder Stunde besser.«
    Pelleton vertraute seinen Reportern, das war seine größte Stärke bei allen Schwächen, die er ansonsten hatte. Er war ein aufbrausender, oft ungerechter Chef, cholerisch, ungeduldig, er brüllte die Leute zusammen, aber alle wussten, dass er in Wahrheit ein großes Herz hatte und dass dieses Herz am lautesten für guten Journalismus schlug.
    Der Chef der Le-Monde- Redaktion stammte aus einem baskischen Dorf nahe der spanischen Grenze, das lange Zeit als eine der Hochburgen der Eta-Separatisten galt, und niemand wusste, wie er selbst es mit ihnen eigentlich hielt und in welchen Verbindungen er zu ihnen stand. Er hatte die Gegend schon als Jugendlicher Richtung Paris verlassen, wo er vor seiner journalistischen Karriere auf kleinen Theaterbühnen in wilden Komödien die Rolle des glutvollen, stolzen Spaniers gegeben hatte. Noch jetzt erfüllte er viele Klischees, die sich die Welt von Südländern macht.
    Kirchner und er kannten sich lange, sie waren Kollegen seit mehr als fünfzehn Jahren. Pelleton war erst sein Ressortleiter gewesen, dann wurde er Chefredakteur, und er wusste, dass er sich auf seinen besten Mann verlassen konnte. Wenn Kirchners frische Geschichten auf seinen Tisch kamen, freute er sich wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum.
    Jetzt fragte Pelleton: »Wie lange wirst du brauchen, Antoine, ungefähr? Heute ist Donnerstag. Also? Wann?«
    »Das kann jetzt alles schnell gehen«, antwortete Kirchner. »Wenn der Tag heute gut läuft, kriegen wir’s vielleicht in die Samstagsausgabe.«
    »Gut«, sagte Pelleton, »sehr gut. Brauchst du noch irgendetwas?«
    »Ja, Henri, es gibt da eine Sache. Die Leiche von Lacombe liegt in Bordeaux, in der Klinik des heiligen
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