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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Antonius zu Padua, stell dir vor. Es wäre schön, wenn einer von unseren Wühlern den Obduktionsbericht beschaffen könnte, ohne dabei viel Lärm zu machen.«
    »Verstanden, das kriegen wir irgendwie hin. Ruf mich an, hörst du? Ich will alles wissen. Nutten aus Bordeaux! Das ist großartig, mein Lieber!«

V.
    K irchner hatte Glück. Er erreichte sowohl den Austern-Funktionär Decayeux als auch den Fischer Arthur Moreau, beide waren bereit, sich zu treffen, und beide hatten an diesem Vormittag Zeit.
    Decayeux arbeitete im Rathaus von Gujan-Mestras, dem Dorf vor Arcachon, an dessen Wasserlinie Kirchner tags zuvor vorbeigefahren war. Außerdem gehörte ihm der größte Austernzuchtbetrieb weit und breit, er hatte Bänke in den besten Lagen, auch ganz vorne am Beckenmund, wo die Strömung die saubersten, fleischigsten Austern hervorbrachte. Vor zwei Jahren hatte er die Führung der Geschäfte seinem Sohn übertragen und sich selbst zum stellvertretenden Bürgermeister der Gemeinde wählen lassen. Er war ein mächtiger Mann für hiesige Verhältnisse, man sagte ihm gute Verbindungen in Paris nach, der Präsident im Élysée-Palast galt als sein Duzfreund. Nun residierte er in einem holzfurnierten Büro des Rathauses, das größer war als das des hauptamtlichen Bürgermeisters.
    Als Kirchner eintrat, erkannte er in ihm sofort einen der Männer, deren Gespräche er am Vorabend im Chez Janine belauscht hatte.
    Decayeux erkannte den Fremden nicht wieder – oder falls doch, dann verbarg er es meisterhaft.
    Alles an diesem Mann war groß und grob, seine Hände waren Pranken, sein Schädel kahl und kantig. Kirchner schätzte ihn auf einen Meter neunzig Körpergröße und zweihundertvierzig Pfund Lebendgewicht, mindestens. Er war eine Erscheinung, ein Mensch wie ein Schrank, der so aussah, als würde er schon zum Frühstück gegrillte Schweinsfüße vertilgen.
    »Bonjour, Monsieur!« Decayeux’ Stimme dröhnte durch das Büro. » Le Monde , wenn ich nicht irre?« Kirchner hatte sich am Telefon ohne Umschweife offiziell angemeldet. »Kommen Sie, kommen Sie! Was trinken Sie? Kaffee? Tee? Champagner? Schnaps?« Und bei diesen Worten lachte er schallend und auch ein wenig Furcht erregend. »Und nehmen Sie Platz!«
    »Kaffee fürs Erste, Monsieur Decayeux, vielen Dank für Ihren herzlichen Empfang.«
    Die beiden Männer saßen sich gegenüber wie Chef und Untergebener: Decayeux hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, der auf geschnitzten Löwenfüßen stand, Kirchner auf einem Besucherstuhl davor. An den Wänden des Büros hingen Seestücke, von Amateuren aus der Gegend gemalt, daneben Bilder von Austernfesten mit dem Bürgermeister mittendrin. Fotos standen in prächtigen Rahmen herum, die Decayeux beim Händeschütteln mit dem aktuellen und dem vorangegangenen Präsidenten Frankreichs zeigten, mit dem glatzköpfigen Rugby-Nationaltrainer, mit Johnny Hallyday und noch reichlich anderen Fernsehgrößen.
    Kirchner schob ihm als Erstes seine Visitenkarte hin.
    »Grand Reporter?«, fragte Decayeux anerkennend. »Was verschafft uns denn die Ehre eines so hohen Besuchs?«
    Kirchner stutzte, innerlich. Der Mann ihm gegenüber verweigerte das langsame Hineingleiten in ein Gespräch, die wohltuende französische Konversation. Vielleicht war er nervös, vielleicht hatte er etwas zu verbergen, vielleicht mochte er Journalisten nicht. Misstrauisch, das stand fest, war dieser Decayeux auf jeden Fall.
    »Mich interessiert die Demonstration gestern«, begann Kirchner. »Einer der Teilnehmer sagte mir, dass hier im Becken ein kleiner Krieg im Gang ist zwischen Austernzüchtern und den Tourismusleuten. Um daraus schlauer zu werden, wollte ich Sie treffen, Monsieur.«
    Decayeux’ Körper entspannte sich nicht, er blieb auf dem Sprung, obwohl die Austernzucht sein Feld war, auf dem ihm niemand etwas vormachen konnte. Er hätte beruhigt sein können über diese erste Frage, aber er lehnte sich unruhig in seinem Schreibtischsessel nach vorne, um sich größer zu machen.
    »Ach, wissen Sie«, sagte er, »die Leute, auch meine Leute, reden viel, wenn der Tag lang ist.«
    »Aber sie gehen eben auch demonstrieren«, entgegnete Kirchner, »und da war schon eine große Wut zu spüren.«
    Decayeux antwortete nicht, sondern griff zum Hörer und sagte: »Wo bleibt der verdammte Kaffee, Nathalie?« Dann schwieg er und schenkte Kirchner ein Lächeln, das nicht Freundlichkeit, sondern Angriffslust verriet.
    Kirchner hatte, während man auf den Kaffee wartete,
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