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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Frühjahr keinen Centime mehr, die Dieselpreise steigen, und die Austern sind giftig. Und jetzt fahr wieder nach Hause nach Paris, Monsieur Le Monde .«
    Kirchner kannte diese Reaktion, sie begegnete ihm, wann immer er in der französischen Provinz arbeitete. Er hatte Glück, wenn die Landsleute, die er traf, mit dem Namen Le Monde nicht viel anfangen konnten – und das geschah viel häufiger, als es die Kollegen in der Pariser Zentrale ahnten. Er hatte noch mehr Glück, wenn er auf einen Leser traf, der sich fern von Paris durch Lektüre der besten Zeitung des Landes auf dem Laufenden hielt und nun eine Chance witterte, selbst in die Zeitung zu kommen, am besten mit Bild. Er hatte Pech, wenn ein Fischer, wie dieser hier, den Namen Le Monde sehr wohl kannte, ihn aber feindselig mit dem fernen Pariser Politikbetrieb in einen Topf warf.
    »Ich komme aus der Normandie«, sagte Kirchner. Das war seine Standardantwort auf Anfeindungen, die nicht ihn, sondern Paris meinten.
    »Na und?«, fragte der Fischer. »Ich komme eigentlich aus der Picardie.«
    »Können wir nicht vernünftig und in Ruhe reden?«
    »Ich wüsste nicht, worüber«, entgegnete der Alte.
    »Na ja, darüber zum Beispiel, wie schlecht es der Fischerei hier geht, so wie du es gerade gesagt hast.« Er wechselte wie der Fischer zum Du, um ihn nicht durch weiteres Siezen auf Abstand zu halten. »Es täte meiner Pariser Zeitung und erst recht ihren Pariser Lesern sicher gut, ein wenig mehr darüber zu erfahren.«
    Der Alte ließ diese Worte ein wenig nachwirken, dann schaute er zu Kirchner auf, diesmal mit einem offeneren Gesicht. »Du bist wohl ein ganz schlauer Normanne, wie?« Dann lud er Kirchner mit einer Handbewegung ein, aufs Boot herunterzusteigen, drückte ihm zur Begrüßung an Deck ein Schnapsglas in die Hand, goss es mit gelblichem Chartreuselikör voll und sagte: »Santé.«
    In der folgenden Stunde, mit dem alten und dem jungen Fischer über feine Netze gebeugt, erfuhr Kirchner mehr über das alltägliche Leben am Becken von Arcachon.
    Die beiden Männer – tatsächlich Großvater und Enkel – fingen nach zwei Gläsern Chartreuse zu reden an. Sie erzählten davon, dass »die Politik«, wie sie es nannten, die Fischerei und die Austernzucht im Becken am liebsten »plattmachen« würde, um freie Hand zu haben für den Tourismus.
    »Der Hafen stört, verstehst du?«, sagte der junge Mann. »Häfen sind laut und dreckig, sie passen nicht zu den weißen Jachten da draußen. Und ein schickes Hotel bringt viel mehr Steuern.«
    Kirchner hörte, dass die Nachfrage nach Liegeplätzen für Jachten in der Bucht das Angebot weit überstieg, sodass die Wartezeit auf einen Ankerplatz in und um Arcachon bei acht Jahren lag.
    Die Fischer erzählten, dass die Austernzüchter große Teile des Küstensaums um das Becken belegten – alles potenzielle Strände – und dass die Kommunen damit begonnen hatten, Lizenzen für die Austernzucht zu entziehen oder nicht mehr zu erneuern. Im ganzen Rund des Beckens stiegen die Immobilienpreise in schwindelerregende Höhen.
    »In Le Canon drüben ist neulich eine von den alten Fischerhütten direkt am Wasser verkauft worden«, sagte der Alte. »Ein Rechtsanwalt aus Bordeaux hat sie seiner Frau zur Silberhochzeit geschenkt. Und jetzt rate mal, Monsieur Le Monde , was ihm das wert war. Na? Eins Komma drei Millionen Euro hat der Mann bezahlt! Eins Komma drei Millionen! Für eine Fischerhütte! Das muss Liebe sein!«
    Kirchner lachte, genau wie die beiden Fischer. Der gelbliche Likör war ihnen zu Kopf gestiegen, für einen Moment verflog die Schwere des Lebens und entlud sich in diesem Lachen über eigentlich triste Geschichten.
    Als es Zeit war, Abschied zu nehmen, verabredete Kirchner sich mit dem Alten und seinem Enkel für den nächsten Morgen.
    Obwohl die Quoten abgefischt waren und die Fischer von Arcachon eigentlich nichts mehr fangen durften, fuhren sie weiter zu Beutezügen aus, europäische Regeln hin oder her. An Land fanden sich stets Händler und Fischverarbeiter, die die illegale Ware abnahmen. Im Grunde war ein großer Schwarzmarkt in Gang, den die Behörden, bestochen oder nicht, einfach ignorierten, dem sozialen Frieden zuliebe.
    Die Elise würde jedenfalls am nächsten Morgen um vier Uhr ablegen, mit der Flut, um im nächtlichen Meer die Netze auszuwerfen, nach Makrelen, Sardinen, den billigen kleinen Fischen.
    »Wird nicht viel werden«, sagte der Alte, »aber du hast schon verstanden, dass du nur an Bord
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