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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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paar Flugblätter kleingefaltet in eine König & Ebhardt -Kladde, sein bevorzugtes Notizbuch seit vielen Jahren, gepackt hatte, ging er zurück zum Auto und telefonierte wieder mit Bouchot.
    »Du bist mir ja einer, Pierre! Sagst kein Wort darüber, dass die Leute hier gegen euch auf die Straße gehen.«
    Bouchot lachte und fragte, wo Kirchner gerade sei.
    »Am Boulevard Deganne.«
    »Boulevard Deganne? Dann versuch erst gar nicht, hierher zu fahren. Hier ist alles dicht, die schmeißen uns mit ihren Austern die Scheiben ein, überall ist Polizei. Lauf vor zur Promenade, und geh nach rechts, wenn du am Strand ankommst. Im letzten Bistro an der Ecke treffen wir uns, es heißt L'Oc é an. Ich nehm das Fahrrad. Bis gleich.«
    Kirchner kam früher im L'Oc é an an als Bouchot. Er verlangte nach einem Tisch für zwei, setzte sich zufrieden auf die Terrasse mit herrlichem Blick auf die Bucht und bestellte einen Kir.
    Am Kir, dachte Kirchner, erkennt man den Anspruch eines Lokals.
    Schlecht geführte Häuser brachten das Glas immer schon himbeerfarben gefüllt an den Tisch, sie nahmen zu milden Wein und zu viel Crème de Cassis, sodass der Aperitif wie süße Limonade schmeckte. In guten Häusern stand immer nur ein halber Finger Cassislikör im Glas, und der Kellner füllte es vor den Augen des Gastes aus einer guten, kalten Flasche weißen Burgunders auf.
    Der Kir kam. Der Kellner stellte ein kleines, lauwarm gefülltes Glas auf den Tisch, zu viel Cassis, zu milder Wein. Kirchner trank. Er war kulinarische Enttäuschungen gewohnt.
    »Antoine?« Ein jugendlicher Mann rief nach ihm, ein Enddreißiger mit grauen Schläfen, der Slalom um die Tische auf der Terrasse lief. »Du bist es«, sagte Pierre Bouchot, als er endlich vor Kirchner stand, lang und dünn wie ein Strich, »gleich wiedererkannt! Bei uns ist heute vielleicht was los, meine Güte.«
    Bouchot ließ sich auf einen Stuhl fallen, und sie tauschten auf die gute französische Art Höflichkeiten aus, erkundigten sich gegenseitig nach Familienmitgliedern, versuchten herauszufinden, wie oft und wo in der Normandie sie sich eigentlich schon begegnet waren und wo sie sich womöglich knapp verpasst hatten, warum sie sich die grauen Haare nicht färbten und was sie vom Trainer der Fußballnationalmannschaft hielten. Kirchner war in dieser Hinsicht ein ganz weltläufiger Franzose, kein maulfauler Normanne. Er mochte das zivile Hin und Her der Konversation, sie gehörte dazu, sie machte das Leben besser.
    Gemeinsam studierten sie die Karte, und Kirchner entschied sich für zwölf Austern aus der Bucht und eine Portion in Brickteig gebackene Seezungenfilets. Ihn verlangte nach etwas Leichtem, es ging schon auf zwei Uhr. Bouchot aß einen grünen Salat mit Knoblauchcroûtons und ein gegrilltes Entrecote mit streichholzdünnen Fritten. Die Männer teilten sich einen halben Liter weißen Graves aus dem nahen Bordeaux.
    »Was ist denn nun bei euch los, Pierre?«, fragte Kirchner nach seiner sechsten Auster, die er mit Schalotten-Vinaigrette beträufelte und genussvoll aussog.
    Bouchot hielt ihm einen langen, komplizierten Vortrag, dem er schweigend und essend zuhörte.
    Kirchner erfuhr, dass Arcamer ein privates Forschungsinstitut mit vielen Staatsaufträgen sei, das sich um die Qualität von Meeresfrüchten hier unten an der Küste zu kümmern hatte. Bouchot war kein Biologe, wie George vermutet hatte, und wie Bouchots eigener Vater es immer noch glaubte, sondern Chemiker. Er erklärte Kirchner, dass sie im Becken hier mit dem Klimawandel zu kämpfen hätten. Die Wassertemperatur in der Bucht steige seit Jahren schon um ein, zwei Zehntel Grad jedes Jahr, was zur Folge hätte, dass sich Mikroorganismen schneller vermehrten.
    »In den Austern aus dem Becken werden ständig mehr Bakterien gefunden«, sagte Bouchot, »und immer öfter in Konzentrationen, die über den Grenzwerten liegen.«
    Es sei die Aufgabe von Arcamer , solche Vorgänge zu melden und öffentlich zu machen. Leider sei das immer häufiger der Fall.
    »Verstehe«, sagte Kirchner, während er auf einem Stück dunklen Brots mit Fassbutter herumkaute, »da draußen in der Natur passiert was, ihr gebt es bekannt und seid die Buhmänner.«
    »So ist es«, bestätigte Bouchot.
    Der Chemiker schien erschöpft vom Reden und den Aufregungen des Vormittags. Er trank den Wein in großen Schlucken, sodass Kirchner dem Kellner bald einen Wink gab, er möge noch eine weitere Karaffe bringen.
    »Aber hat es denn Fälle gegeben, in
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