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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Rezeptionist vermied seinen Blick, aber Kirchner spürte seinen Widerstand schon schwinden.
    »Die Herren sind mitten in der Nacht hier angekommen, und zwar heute ganz früh am Morgen, und statt Pässen haben sie beim Check-in Dienstausweise vorgelegt. Na, stimmt’s?«
    Der Mann in Livree gab schnell auf, er nickte schon, während Kirchner noch redete.
    »Die sind vom DCRI«, flüsterte er und beugte sich weit nach vorne, als fühlte er sich belauscht. »Meine Schicht hat zwar erst um sechs Uhr begonnen, aber der Kollege vom Nachtdienst hat’s mir erzählt. Um fünf Uhr haben sie ihn rausgeklingelt, und sie wollten auch gleich Frühstück.«
    Kirchners Schuss ins Blaue war ein Treffer. Die vier Männer kamen von der Direction centrale du renseignement intérieur , dem Inlandsgeheimdienst DCRI. Ohne Zweifel hatten sie den Auftrag, den Tod des Finanzministers so lange zu vertuschen, bis die Regierung in Paris mehr Klarheit über die Vorgänge gewonnen und, vor allem, eine »Sprachregelung« gefunden hatte, wie dergleichen in den Zirkeln der Macht hieß.
    Kirchner kannte die Sorte Mensch gut, die gerade an ihm vorbeigeschlichen war. Sie würden nicht reden, es sei denn aus Dummheit oder wenn sie heillos betrunken wären. Gewiss würde er ihnen bei dieser Recherche wiederbegegnen, dann würde man sehen.
    Kirchner dankte dem Empfangsportier, ließ den Zwanzig-Euro-Schein auf dem Tisch liegen, ging hinaus zu seinem Auto und machte sich zum Hafen auf.
    Die kurze Fahrt führte aus herausgeputzten Straßen und Gassen in die räudige Welt der Gewerbegebiete, gewaltige Hypermarchés von Carrefour und Casino , Bau- und Getränkemärkte siedelten am Stadtrand, unweit davon erreichte Kirchner bald die Hafenanlagen. Um diese Stunde, am späten Nachmittag, war die Arbeit hier getan, die Fischerboote lagen vertäut in langer Reihe an specksteinernen Molen. In den Hallen der Fischverarbeiter räumten dunkelhäutige Hilfsarbeiter auf und spritzten die gekachelte Welt mit scharfem Strahl aus dicken Schläuchen sauber.
    Kirchner parkte vor den Büros von Arcamer , die in einem gesichtslosen Würfel aus Waschbetonplatten direkt im Hafen lagen. Er sah kleine Spuren der Verwüstung vom Mittag, zerbrochenes Glas, Austernschalen. Verrostetes Material lag in großen Stapeln herum, abgeschabte Styroporbojen, Netze in mannshohen Haufen, heillos verworren mit Tauen, Kordeln und grellroten Schwimmern.
    Die Welt der Häfen hatte Kirchner schon als Kind fasziniert. Irgendwie wartete er immer darauf, eines Tages einem echten Kapitän Ahab zu begegnen, mit einem Bein aus Walfischknochen und einer tiefen Narbe im »scharf tigergelben« Gesicht, genau wie es in Moby Dick stand, einem der wichtigen Bücher seines Lebens.
    Während er an der Mole entlangspazierte, die Hände in den Hosentaschen, sog er genießerisch die mineralischen Brisen vom Meer, vom Fisch ein, und von ferne hätte man ihn für einen Urlauber halten können.
    Die Ebbe war da, die Bucht draußen lag glatt wie ein Teich unter dem Saum der Landbrücke, die am Cap Ferret vorne abbrach. Im Hafen dümpelten die Boote jetzt drei Meter tief unter dem Rand der Kaimauern. Auf den Decks der Kutter lag aufgeräumt das tonnenschwere Fanggeschirr, zu beiden Seiten je eine Baumkurre, zehn, zwölf Meter lange Stahlröhren, an denen die aufgespannten Netze während der Fischzüge über Grund geschleppt wurden.
    Dem Normannen Kirchner waren die Namen und Gerätschaften geläufig, er hatte als Kind viele Stunden im Hafen von Grandcamp verbracht. Er wusste, dass die Fischer schwere Ketten an ihr Schleppgeschirr montierten, die den Meerboden regelrecht durchpflügten und die Schollen und Seezungen »aufweckten«, wie das in der Sprache der Küstenfischer hieß.
    An Bord der Elise , einem alten, rostigen Kutter, werkelten noch ein alter und ein junger Mann an ihren Netzen, dem Augenschein nach Großvater und Enkel.
    Kirchner rief ihnen ein »Bonjour« hinunter.
    Die Männer blickten argwöhnisch auf.
    »Wie läuft’s?«, fragte Kirchner und kam sich im selben Moment plump und ein wenig lächerlich vor.
    »Wer will das wissen?«, brummte der alte Mann und widmete sich wieder seinem Netz, ohne ihn weiter anzuschauen.
    »Ich arbeite für Le Monde «, sagte Kirchner. »Ich habe die Demonstration der Austernzüchter heute gesehen und wollte mich umhören, wie in Arcachon die Stimmung ist.«
    »Die Stimmung ist hervorragend«, sagte der alte Mann bitter, »die Quoten sind abgefischt, wir verdienen bis zum
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