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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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stand er, zornig und zu Tode erschöpft und unterhielt sich über die Gegensprechanlage mit der Haushälterin seines ärgsten Rivalen, den er sich verzweifelt zum Freund wünschte.
    „Sie sind nach Venedig gefahren“, plauderte Marianne.
    „Venedig.“ Henryk wich zurück, bis er mit einem Fuß ins Leere trat. Stolpernd kämpfte er um sein Gleichgewicht. Sein Handy begann zu klingeln. Er tastete danach, fand es endlich, starrte das Display an.
    Paul Verhoeven blinkte dort. Sein Finger krümmte sich zur Taste und verharrte. Er konnte jetzt nicht mit Verhoeven sprechen. Mit niemandem konnte er sprechen.
    Seine Kehle, sein Mund, sein ganzer Geist fühlten sich an wie mit Säure getränkt.
    Er drückte den Anruf weg. Einen Herzschlag später klingelte das Telefon erneut. Verhoeven, ohne den die Dinge anders verlaufen wären.
    Er begann zu zittern. Eine unbändige Wut stieg in ihm auf. Seine Finger lösten sich und verkrampften wieder. Er schleuderte das Telefon auf die Straße. Klappernd schlug es auf und rutschte ein Stück über den Teer. Das Klingeln verstummte.
    Enttäuschung senkte sich auf die Wut hinab, wie ein grauer Schleier. Er begann zu laufen, die Straße hinunter, den ganzen weiten Weg zurück.
     
     
     

41
     
     
     
    Der Morgen graute schon, als er endlich Schlaf fand.
    Nach kaum zwei Stunden erwachte er wieder, die Glieder schmerzend und schwer wie Blei. Er hielt sich am Tisch fest und suchte nach den Tabletten, doch fand nur die leere Folie.
    Fluchend tappte er ins Bad. Er riss die Tür zum Spiegelschrank auf. Die Verankerung zitterte unter dem Ruck. Mit einer Hand stützte er sich gegen die Wand, mit der anderen durchwühlte er die Fächer. Eine Flasche stürzte um und rollte nach vorn. Er versuchte sie aufzufangen, doch seine Finger griffen vorbei.
    Klirrend zersprang das Glas auf den Fliesen. Ölige Flüssigkeit lief aus und sammelte sich in den Fugen.
    „Scheiße“, murmelte er.
    Es gab keine weiteren Tabletten.
    „Scheiße“, wiederholte er, dieses Mal lauter.
    Er drehte den Hahn auf und schöpfte sich Wasser ins Gesicht. Er spülte seinen Mund aus und lehnte sich zurück. Ohne den Hahn zuzudrehen, ließ er sich auf den Boden sinken. Er lehnte den Rücken gegen die Wand und betrachtete die bräunlichen Verfärbungen an der Unterseite des Waschbeckens.
    Helene und Peter waren nach Venedig gefahren. So einfach war das. Mit einem Fingerschnippen hatte Baeskens ihn vernichtet, mit atemberaubender Leichtigkeit.
    Und Helene?
    Seine Kehle schwoll an.
    Gespielt und verloren, dachte er.
    Gespielt und verloren.
     
     
     
    Einige Stunden später überwand er sich, das Atelier zu verlassen und neue Zeitungen zu kaufen.
    Er warf sie auf den Boden und ging in die Küche, um nach etwas Essbarem zu suchen. Mit den Zähnen entkorkte er eine Flasche Wein. Er hob einen hart gewordenen Leib Brot gegen das Licht und versuchte herauszufinden, ob die weißen Punkte auf der Unterseite von Schimmel oder Mehl herrührten. Schließlich entschied er, dass es keine Rolle spielte und schnitt ein Stück davon ab.
    Er trank etwas Wein und drehte sich um.
    Helene blickte ihm entgegen, mit weich verschleierten Augen. Er trat ganz dicht an sie heran. Terpentingeruch stieg ihm in die Nase, wie ein scharfes Parfüm. Er hatte das Bild nicht signiert. Die Farben verschwammen vor seinen Augen, weil er so nahe vor der Leinwand stand. Er spürte die Struktur an seiner Wange, die feinen Vertiefungen im Firnis.
    Seine Augen brannten.
    Er blinzelte, bis die Tränen sich endlich lösten, ein heißes Rinnsal, das seine Wangen benetzte und sich in der Vertiefung zwischen den Schlüsselbeinen sammelte.
     
     
     
    Bis zum Einbruch der Nacht starrte er die Zeitungen an, ohne sie zu berühren. Dann konnte er sich nicht länger zurückhalten und blätterte die erste auf. Die Berührung brach alle Barrieren. Hastig riss er die Seiten auseinander und suchte nach dem Kulturteil. Er fand eine Notiz zur Vernissage, doch keine Besprechung. Im nächsten Blatt entdeckte er einen Artikel und ein Foto von sich selbst. Die Schatten in seinem Gesicht drifteten ins Schwarz, sein Haar wirkte strähnig und grau.
    Er las die ersten Zeilen und ließ die Zeitung sinken.
    Peter Baeskens hatte gesprochen. Und seine Jünger folgten ihm.
     
     
     
    Im Dämmerlicht wirkte sie fast lebendig.
    Er kniff die Augen zusammen und unterdrückte den Reflex, seine Hand auszustrecken und die Haarlocke zu berühren, die er auf ihre Schulter gebreitet
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