Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
Mailbox ansprang, lauschte dem Piepton, holte tief Atem. Dann legte auf, drückte die Wahlwiederholung und lauschte erneut.
    Ein Hall überlagerte das Klingeln. Als sich wiederum die automatische Ansage meldete, ließ er das Handy sinken. Er scrollte durch die wenigen Einträge, bis er Helenes Nummer fand. Vor seinem Fenster schaltete sich flackernd die Straßenlaterne ein. Er wählte die Nummer nicht. Er starrte nur aufs Display, bis die Zahlen verschwammen.
    Schließlich stand er auf, langte nach dem Schlüssel und der Brieftasche auf dem Tisch. Sein Handrücken stieß heftig gegen die Tulpen. Ein Stängel löste sich und stürzte über den Rand der Vase. Einen Herzschlag lang betrachtete er die Blüte, dann wandte er sich zur Tür.
     
     
     
     „Halt“, stieß er hervor, als der Taxifahrer in die Rode Avenue einbog.
    Der Mann bremste und kam kurz hinter dem Bushäuschen zum Stehen. „Hier?“
    „Warten Sie.“ Henryk starrte aus dem Fenster. Der Asphalt glänzte gelblich im Licht der Straßenlampen. Am rechten Rand parkten Autos. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher. Die Zuversicht hatte sich aufgelöst, zwischen den zahlreichen Kreuzungen, den Perlenketten aus roten Lichtern, auf den letzten Kurven in den Ausläufern von Ukkel.
    „Was ist jetzt? Wollen Sie aussteigen oder nicht?“
    Er verspürte das überwältigende Bedürfnis, umzukehren. Seltsamerweise war es der Ausdruck auf dem Gesicht des Fahrers, eine Mischung aus Missfallen und Ungeduld, der seine Entscheidung lenkte.
    „Ich steige aus.“ Er langte nach seiner Brieftasche.
    „Okay.“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Siebzehn Fünfzig. Quittung?“
    Henryk schüttelte den Kopf. Er gab dem Fahrer eine Zwanzig-Euro-Note, murmelte einen Dank und drückte die Tür auf.
    Seine Sinne arbeiteten mit unnatürlicher Schärfe. Er registrierte die kleinen Unebenheiten des Asphalts unter seinen Füßen. Der Wind, der an seinen Haaren zupfte, trug den Geruch von Laub und Maschinenöl. Mechanisch setzte er sich in Bewegung. Im Reflex streckte er seine Hand aus, wo die Sandsteinmauer begann und fuhr mit den Fingern über die Steine. Vergeblich hielt er Ausschau nach der rostfarbenen Katze.
    Vor dem Tor mit den Kupferbeschlägen legte er seinen Kopf in den Nacken und betrachtete die fast kahlen Baumkronen auf der anderen Seite. Der Wind frischte auf. Das war es, was ihn schon im Taxi hatte zögern lassen. Die Frage, was er eigentlich tun wollte, wenn er Peter Baeskens gegenüber stand. Ihn mit Vorwürfen überhäufen? Oder, viel schlimmer, um Mitleid heischen? Selbst wenn Peter einlenkte, wenn er verstand – was sollte passieren? Den Artikel im De Standaard konnte selbst er nicht rückgängig machen.
    Henryk schluckte. Er konnte immer noch umkehren.
    Ein Rascheln erschreckte ihn, eine Bewegung im Augenwinkel. Die Katze war mit einem anmutigen Satz auf dem Torpfosten gelandet und starrte zu ihm herunter. Die gelben Pupillen funkelten im Licht.
    Wenn er Peter zur Rede stellte, verlor er sein Gesicht. Andererseits brandmarkte er sich als Feigling, wenn er jetzt umkehrte. Eine Zeitlang stand er wie gelähmt. Was war schlimmer? Vor Peter einzuknicken, oder die Selbstachtung zu verlieren? Er senkte den Kopf und betrachtete das Klingelschild. Schließlich hob er eine Hand und betätigte den Schalter.
    Er wartete.
    Die Nacht um ihn klang laut.
    Ein paar Minuten verstrichen. Erleichterung kroch sein Rückrat hinauf. Er schämte sich für diese Empfindung und hieß sie dennoch willkommen. Dann plötzlich zerbrach ein Knacken die Stille. Eine Frauenstimme meldete sich.
    „Wer ist da, bitte?“
    Henryk stutzte, nicht sicher, ob das Helene war.
    „Hallo?“ Ungeduld schwang in der Frage.
    Nein. Nicht Helene. Er brachte sein Gesicht dicht an den Lautsprecher und nannte seinen Namen. „Ich würde gern Peter Baeskens sprechen“, fügte er hinzu. „Oder Helene, wenn er nicht da ist.“
    „Das tut mir leid.“ Die Frau schlug einen freundlicheren Tonfall an. Mit einemmal erkannte er die Stimme. Marianne, die Haushälterin. „Sie haben die beiden knapp verpasst.“
    Erleichterung rang mit Resignation. „Wann sind sie zurück?“
    „In zwei Wochen.“ Marianne zögerte. „Tut mir wirklich leid. Waren Sie verabredet?“
    „Ich war nur gerade in der Gegend.“
    „Möchten Sie trotzdem hoch zum Haus kommen und einen Kaffee trinken?“
    Er warf einen Blick zur Katze, die immer noch auf dem Pfosten hockte. Ihm wurde der Irrwitz der ganzen Situation bewusst. Hier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher