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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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räumte die leeren Tassen vom Tisch und fragte, ob sie noch einen Kaffee wollten.
    „Ja gern“, sagte Martha, bevor Henryk ablehnen konnte. „Für Sie auch?“
    Er zögerte, weil er noch immer nicht den Preis auf der Karte lesen konnte.
    „Zwei mal Milchkaffee“, sagte Martha. „Sie waren gerade bei den Pigmenten.“
    „Die Pigmente“, wiederholte er. „Genau. Sie müssen die gleichen einsetzen, die der Maler in seinen Bildern verwendet hat. Also nehmen wir Gelb. Sie können das aus ganz verschiedenen Pigmenten herstellen. Arsengelb, Neapelgelb, Bleizinngelb, was Sie möchten. Arsengelb zum Beispiel basiert auf Auripigment, gibt es schon seit der Antike, kam nach dem sechzehnten Jahrhundert aus der Mode.“ Er sah, wie Martha ihm zu folgen versuchte, das gab ihm ein wenig Sicherheit zurück. Die Linie auf ihrer Stirn gewann an Schärfe, ein Zeichen von Konzentration. „Bleizinngelb finden Sie auch schon auf babylonischen Tonziegeln. Auf europäischen Gemälden erst ab dem vierzehnten Jahrhundert. Nach 1700 verschwindet es dann als dominantes Gelb. Für unseren Vermeer“, bewusst vermied er das Wort Fälschung, „wäre es eine gute Wahl, weil es die Altersbestimmung eingrenzt. Daneben könnte man aber auch Neapelgelb verwenden, das gibt es seit dem siebzehnten Jahrhundert. Ein Bleiantimon“, er schürzte die Lippen, „ziemlich giftig. Wissen Sie übrigens, dass früher viele Maler unter schleichender Bleivergiftung litten?“
    Martha schüttelte den Kopf.
    „Vom Anfeuchten der Pinsel mit den Lippen.“
    „Wo haben Sie das alles gelernt?“
    „Ich habe es gelesen.“
    „Was sonst.“ Sie hob eine Augenbraue. „Und wenn man also weiß, welche Pigmente der Maler auf seinen Bildern verwendet hat ...“
    „Besteht man die entsprechenden Tests.“
    „Woher bekommt man diese Pigmente?“
    „Die meisten können Sie einfach kaufen.“
    „Das hört sich leicht an.“ Martha wartete, bis die Kellnerin die Kaffeetassen auf dem Tisch abgestellt hatte. „Man muss sich also nur die richtigen Farben besorgen? “
    „Nicht die Farben“, korrigierte sie Henryk. „Die Pigmente.“
    „Was?“
    „Zinktuben sind eine Erfindung der Neuzeit. Früher haben die Maler ihre Pigmente selbst angerieben. Mit Naturharzen, wenn man auf Ölbasis malt.“
    „Also kaufen Sie die Pigmente. Woher dann das Zeitproblem?“
    „Wir werden Bleiweiß benötigen.“
    „Bleiweiß“, wiederholte sie, verständnislos.
    „Kennen Sie Han van Meegeren?“, fragte Henryk.
    „Den berühmten Fälscher?“ Sie lächelte verkniffen. „Der Göring den falschen Vermeer verkaufte?“
    Er erwiderte ihr Lächeln. „Wissen Sie, wie man ihn erwischt hat?“
    Martha schüttelte den Kopf.
    „Er verwendete modernes Bleiweiß. Sie können im Labor herausfinden, aus welcher Lagerstätte es stammt.“ Er rieb sich über den Nasenrücken. „Bis zum neunzehnten Jahrhundert wurde das Blei für die Farben in deutschen und tschechischen Minen abgebaut. Heute kommt es aus Australien und Amerika. Ein Chemiker hat weiße Farbproben von einem Vermeer-Original mit Meegerens Fälschung verglichen. Das historische Bleiweiß enthält Silber und Kupfer als Spurenelemente. Modernes Bleiweiß ist viel reiner. Damit war klar, dass Meegerens Weiß zweihundert Jahre zu spät hergestellt worden war.“
    „Und wenn Sie es einfach weglassen?“
    „Nein ernsthaft, das ist ein Problem“, sagte er. „Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach. Ich werde eine Menge Weiß brauchen. Die alten Meister haben in Schichten gemalt, wissen Sie? Die Untermalung wird mit billigem Pigment ausgeführt. Dunkle Erden und Weiß oder Gelb auf Bleibasis. Man modelliert sozusagen Licht und Schatten. Die endgültige Farbe trägt man erst am Schluss auf, wie eine Lasur.“
    Henryk verstummte, als Martha der Kellnerin winkte und um die Rechnung bat. Er wollte noch weitersprechen, aber hatte plötzlich das Gefühl, dass er sie langweilte. Ihm wurde klar, dass er sich in seinem Eifer, sie zu beeindrucken, in Details verloren hatte.
    „Ich muss leider“, Martha blickte entschuldigend auf ihre Armbanduhr, „noch einmal zurück ins Büro.“
    Die Kellnerin kehrte zurück und legte einen Zettel vor Henryk auf den Tisch. Er erschrak, als er die Zahl sah. Darum bemüht, eine unbeteiligte Miene zu wahren, tastete er nach seiner Brieftasche.
    „Nein, warten Sie“, hörte er Martha sagen, „das geht auf mich.“
    Er murmelte einen Dank. Es kostete ihn alle Kraft, sich seine Erleichterung
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