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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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genauer hin.
    Das sah gut aus.
    Plötzliche Euphorie vertrieb seinen Ärger. Der Fels unter den gelblichen Ausblühungen glänzte schiefergrau, als Henryk den Lichtstrahl bewegte. Er legte die Taschenlampe auf den Boden, zog den Rucksack vom Rücken und schüttelte das restliche Werkzeug heraus. Dann packte er die Hacke, holte aus und schlug zu.
    Stahl kreischte auf Fels.
    Henryk erstarrte.
    In die plötzliche Stille schienen sich die Echos unendlich fortzupflanzen. Mein Gott, er musste froh sein über das Wetter und diesen verdammten Schneesturm, der verhinderte, dass irgendein Wanderer sich hier herauf verirrte.
    Mit schmalen Augen musterte er die Wand. Unter seinem Hieb war ein winziger Riss entstanden. Er holte Schwung und schlug abermals zu, diesmal mit aller Wucht. Schmerz schoss ihm hoch in die Schultergelenke. Er ließ die Hacke sinken und krampfte seine Finger um den Holzgriff, um das Zittern zu unterdrücken. Erschrocken lauschte er auf die Reaktion seines Körpers. Er war das nicht mehr gewöhnt, diese Art von Arbeit. Seine Muskeln hatten gelernt, einen Pinsel zu führen, und alles andere darüber vergessen. Genau wie das Autofahren.
    Er wartete, dass der Schmerz abklang. Dann erneuerte er seinen Griff und schwang die Hacke ein weiteres Mal. Steinbrocken spritzten, der Riss klaffte auf.
    Sein nächster Hieb löste eine Kaskade von Geröll. Feine Splitter trafen seine Wange.
    Wieder holte er aus, mechanisch.
    Und wieder.
    Und noch einmal.
    Die Schläge grollten wie Donner. Echos brachen sich in den lichtlosen Stollen. Doch niemand kam, um nachzusehen. Das Bergwerk blieb verlassen.
     

Henryk glaubte die Schläge immer noch zu hören.
    Später, als der Zug anfuhr und die Räder in gleichmäßigem Rhythmus pochten. Die Echos wiegten ihn in den Schlaf. Sein Kopf fiel gegen die Scheiben und Kälte betäubte sein Gesicht. Noch später wachte er auf und starrte aus dem Fenster. Grau verschwammen die Bäume und Felder. Vom Horizont zog die Nacht herauf.
    Der Schmerz in seinen Schultern war zu Taubheit angeschwollen. Er wusste selbst nicht mehr genau, wie er es geschafft hatte, den schweren Rucksack ins Tal zu schleppen. Auf dem letzten Stück hatte er ihn nur noch hinter sich hergeschleift.
    Er hatte den Wagen in Braunschweig abgegeben, einer Stadt nördlich von Ilsenburg, die sich abweisend in der Winterkälte zusammenkauerte. Dort war er in den Spätzug gestiegen, der ihn in acht Stunden nach Brüssel zurückbringen sollte.
    Sein Rucksack war angefüllt mit Geröll. Galenit lautete die geologische Bezeichnung. Bleiglanz. Ein Gefühl von Triumph wärmte ihm die Brust. Wenn seine Idee funktionierte, wenn sie wirklich funktionierte, dann hatte er einen Schatz geborgen.
    Aber es gab keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen. Er hatte sorgfältig recherchiert. Im Otto-Schacht war bis ins späte achtzehnte Jahrhundert hinein Bleiglanz abgebaut worden. Die Lukas-Gilde in Delft hatte Blei für die Pigmentgewinnung aus den Bergbaustädten im Oberharz bezogen. Blei, das versetzt war mit Antimon und Silber.
    Von seinem Rucksack voller Geröll bis zu malfähigem Bleiweiß blieb es nur noch ein kleiner Schritt. Die alten Verfahren waren bekannt. Man benötigte weder Spezialausrüstung noch besondere Fachkenntnisse, um die Anweisungen auszuführen.
    Henryk beugte sich vor und tastete zärtlich über die Schrunden unter der Leinenhülle.
     
     
     

7
     
     
     
    Zwei Wochen später sättigten Essigschwaden die Luft in seinem Badezimmer.
    Er atmete flach, die Handflächen gegen die Kacheln gepresst, und genoss das heiße Wasser, das über seinen Rücken strömte. Seine Schultern schmerzten noch immer. Die Bandagen um seine Handgelenke hatte er am Morgen abgewickelt. Anders als die Schultern fühlten sie sich wieder normal an. Die Entzündung war abgeklungen. Nichts erinnerte mehr an die quälenden ersten Tage, in denen er kaum den Pinsel hatte halten können.
    Er unterdrückte einen Hustenreiz. Der Essiggestank war durchdringend, obwohl er die Wannen mit Folie abgedichtet hatte. Darüber lagen Bretter und obenauf eine Lage Wolldecken, mit Ziegelsteinen beschwert. Ein Heizlüfter lief auf maximaler Stufe und verwandelte das kleine Bad in eine Sauna.
    Henryk stieg aus der Dusche und trocknete sich ab, dann floh er aus den ungesunden Dünsten und riss die Fenster im Atelier auf. Der plötzliche Kälteschwall traf seine Haut wie Rasierklingen. Er freute sich auf Martha, die sich für den Abend angekündigt hatte. Brannte er doch
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