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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle
Autoren: Tobias O. Meißner
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Dies
war ihr drittes Treffen, und sie waren erstaunlich allein. Die kleine weiße
Bank schien sich zu drehen, und alle Vögel schwebten still.
    Â»Wie geht es deinem
Freund?« fragte sie.
    Akamas krümmte sich
zusammen, wie um sich unter dieser Frage wegzuducken. »Es ist furchtbar.
Schlimmer, als ich es mir in meinen düstersten Ahnungen vorgestellt hätte. Er
ist zwar nicht so … verbrannt, wie die beiden anderen Überlebenden, die
ich zu Gesicht bekommen habe, aber er ist vollständig verändert. Das ist schwer
zu erklären.«
    Â»Erkläre es mir.«
    Â»Ã„ußerlich ist er
beinahe unversehrt. Seine Haare sind immer noch honiggelb, seine Augen noch
immer golden. Aber die Augen sind leer. Er erkennt niemanden wieder, kann nicht
mehr sprechen, nur noch lallen oder wimmern. Sein Geist ist fort, und mit
seinem Geist die Aura von Honigduft, die ihn stets umgab. Das Schlimmste jedoch
ist, daß sich aus seinem Fleisch Insekten bilden. Wie Pestbeulen wuchern sie,
platzen dann auf und geben gräßliche, verformte Hornissen frei, die jeden in
der Nähe zu stechen und zu töten versuchen, obwohl sie selbst kaum flug- und
lebensfähig sind. Er war ein Bienenmagier, vorher, müßt Ihr wissen. Sanft
umschwirrt von geflügelten Begleitern, mit denen er sprechen konnte, die er
aussenden konnte, um seine Augen zu sein. Jetzt umflattern ihn Monstrositäten,
die aus seinem Fleisch gewachsen sind. Es löst ihn auf.«
    Â»Aber noch lebt er, und
das allein schon macht ihn einzigartig. Alle anderen Magier, die an dem Vorstoß
beteiligt waren, sind am Skorpionhügel zu Asche verbrannt. Von ihnen ist nichts
übrig geblieben. Dein Freund dagegen hatte keinen Kratzer, erst während seiner
Überführung nach Aldava zeigten sich die ersten Symptome. Wir müssen herausfinden,
wie er das geschafft hat und was mit ihm geschehen ist.«
    Â»Ich werde ihn
weiterhin täglich besuchen.«
    Â»Ich fürchte, daß das
nicht möglich ist. Ich habe eine weitere, noch schwerere Aufgabe für dich. Du
bist mit den Prophezeiungen der vier Bücher vertraut?«
    Â»So weit das möglich
ist. Ihr wißt, daß sich der Orden der Vier Gründe mit der Zehnzahl überworfen
hat, schon vor Jahrhunderten, und daß uns deshalb das Studium der
Originalzeugnisse untersagt ist.«
    Â»Aber du kennst die
Prophezeiung für dieses Jahr, die mich zum militärischen Vorstoß hinter die
Felsenwüste veranlaßte?«
    Â»Ja.
    Wenn
vom Gebirg im Nordosten
    die
zweibeinig Schatten sich krallen
    wird
wehren nicht Rüstung noch Posten:
    Die
Hauptstadt des Glaubens wird fallen .«
    Â»Aldava hat
vierhunderttausend Einwohner«, sagte die Königin nachdenklich. »Das Leben von
zweitausend Soldaten zu gefährden, schien mir ein akzeptabler Preis für die
Rettung von vierhunderttausend. Aber unser Vorstoß wurde gestoppt. Die
Affenmenschen haben unseren Magiern eine verheerende Falle gestellt. Sie sind
tatsächlich viel gefährlicher und vor allem magisch bewanderter, als wir
jahrhundertelang gedacht haben. Die Versäumnisse meiner Vorgänger bescheren uns
in diesem Jahr eine völlig neuartige Situation: Aldava ist in Gefahr, und
niemand weiß, wie dieser Gefahr zu begegnen ist.«
    Â»Woher weiß man, daß
dieses Jahr gemeint ist: 682 nach der Königskrone?«
    Â»Die Prophezeiungen
bauen aufeinander auf und ergeben bislang eine ununterbrochene Kette von
Wahrheiten. Die Verse mit dem Fall der Hauptstadt beziehen sich auf das Jahr nach dem Jahr wenn ein Sumpf quert die Schwelle, wenn ans
Tageslicht kommt das Dunkel der Quelle . Beides hat sich letztes Jahr
ereignet. In Chlayst schlug ein Sumpf um und wurde giftig, und in Terrek
entdeckte ein Gelehrter eine flüssige Schwarzwachsquelle, die erste seit
dreihundert Jahren. Schon als im letzten Feuermond das mit dem Sumpf passierte,
schlug der Thronrat Alarm und schickte Leute aus, die alles in Erfahrung
bringen sollten, was es über das Gebiet der nordöstlichen Berge in Erfahrung zu
bringen gab. Aber als im Nebelmond dann noch die Quelle gefunden wurde, zogen
wir in Endailon schnellstens Truppen zusammen, um das Unheil im Keim zu
ersticken. Die Prophezeiung sagt ›wenn‹, Akamas. ›Wenn die zweibeinig Schatten
sich krallen.‹ Ein ›Wenn‹ enthält immer die Möglichkeit eines ›Wenn nicht‹. Wir
dachten, wir hätten noch Zeit zu handeln.
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