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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle
Autoren: Tobias O. Meißner
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sich wirken. »Eine gute Antwort.
Kommen wir nun zu Euch.«
    Â»Stimmt. Aus
unerfindlichen Gründen muß meiner der fünfte Name auf Eurer Liste sein.«
    Sie überraschte ihn mit
einem: »Nein. Der fünfte und letzte Name auf meiner Liste lautete Dar Seaf, ein
legendärer Abenteurer aus den Klippenwäldern. Ich habe seine Fährte und die
Ruhmesspur seiner Taten beinahe zwei Monde lang verfolgt, bis ich erfuhr, daß
Dar Seaf letztes Jahr bei einem Handgemenge in einem Stall in Fairai von einem
Stallknecht totgeschlagen wurde. Eine kleine, unbedeutende Tragödie. Ich war zu
spät gekommen. Betrübt kehrte ich in die Hauptstadt zurück, um dem Kreis mein
Versagen einzugestehen. Auf dem Weg dorthin kam ich am Haus von Baladesar Divon
vorbei. Einer plötzlichen Eingebung folgend, suchte ich ihn in seinem
sonnendurchfluteten Innenhof auf und sagte ihm, daß er, da er der einzige von
meiner Liste gewesen war, der von sich aus abgelehnt hatte, das Recht habe,
jemand anderen nachzunominieren. Er überlegte kurz und erzählte mir dann die
Geschichte von Rodraeg Talavessa Delbane.«
    Rodraeg legte mit einer
langsamen Bewegung die Hände vors Gesicht. Er ahnte, daß jetzt Lobhudeleien auf
ihn zukommen würden, und er wollte verbergen, wie peinlich ihm das war.
    Das Mädchen aus dem
Schmetterlingshain brauchte keine Notizpergamente, um seine Lebensdaten
aufzusagen. »Rodraeg Talavessa Delbane, geboren im Regenmond des Jahres 645
nach der Königskrone, also vor siebenunddreißig Jahren, als Sohn von Esair
Delbane und seiner Frau Lanur im Dorf Abencan in einem Landstrich, den die
Menschen die Felder der Sonne nennen. Der Vater Esair besaß Tabakpflanzungen
und war einigermaßen wohlhabend, der Junge wurde deshalb von Privatlehrern
unterrichtet und lernte Lesen, Schreiben, Rechnen, Musizieren, Fechten, Reiten,
Malerei und Poesie. Mit zwanzig Jahren verließ Rodraeg das elterliche Gut und
zog mit seinem Jugendfreund Baladesar Divon drei Jahre lang als freier
Abenteurer durch den Kontinent, bis beide in der Hauptstadt Aldava in einer
kleinen Kanzlei als Gehilfen anfingen. Die Kanzlei hatte sich auf die
Vertretung von nicht sehr wohlhabenden Bürgern vor dem königlichen Gerichtshof
spezialisiert, und Rodraeg und Baladesar erhielten hier eine umfangreiche
Ausbildung, wurden Schreiber, Sekretär, Buchhalter, Notar, Ermittler – alles in
einem. Rodraeg blieb sechs Jahre in Aldava, bis ihn ein Brief seines Vaters
heimrief in die Sonnenfelder. Dort hatte es inzwischen drei Jahre
hintereinander eine große Trockenheit gegeben, und den Tabakpflanzungen der
Familie Delbane drohte der Ruin. Rodraeg kehrte heim, verwaltete und verkaufte
nach und nach den Familienbesitz, bis zwar die Felder nicht mehr den Delbanes
gehörten, seinen Eltern jedoch zumindest ein sorgenfreies Leben im Alter
gewährleistet war. Alles in allem verbrachte Rodraeg so noch einmal zwei Jahre
in den Sonnenfeldern. Dann, mit nunmehr einunddreißig Jahren, wollte Rodraeg
nicht mehr nach Aldava zurück. Baladesar hatte mittlerweile geheiratet und war
Vater geworden, Rodraeg dagegen zog es wieder in die Unbestimmtheit. Er nahm an
einem großen Ritterturnier in Endailon teil, arbeitete eine Zeitlang als
Schreiblehrer für Kinder und Erwachsene in der Provinz Hessely und fand
schließlich Anstellung im Rathaus von Kuellen, sozusagen als rechte Hand des
Bürgermeisters. Diesen Beruf übt er zwar jetzt seit über fünf Jahren aus, aber
er wohnt immer noch in einem Gasthaus, dem Quellenhof. Soweit alles richtig?«
    Â»Naja, bis auf ein paar
geschönte Formulierungen. Die drei Jahre, die Baladesar und ich als ›freie
Abenteurer‹ verbrachten, bestanden im großen und ganzen aus Frieren, Hungern,
Stallausmisten, Kühemelken und Weglaufen vor irgendwelchen Straßenräubern und
Untieren. Die ›umfangreiche Ausbildung‹, die uns der selige Advokat Hjandegraan
hat angedeihen lassen, lautete: ›Seht zu, daß ihr euch nützlich macht, ihr
Hundejungs.‹ Das große Ritterturnier in Endailon war für mich eine Abfolge von
spektakulären Stürzen und spektakulärem Verdroschenwerden. Über meine Zeit als
Dorflehrer will ich nie mehr sprechen. Das war einfach nur schrecklich. Und daß
ich die ›rechte Hand‹ des Bürgermeisters bin, würde den Schreiber Kepuk wohl
sehr treffen, denn eigentlich ist er der Hauptschreiber hier und
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