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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse
Autoren: Armin Oehri
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roten Barthaare. Mit seinem imposanten Äußeren erinnerte er an
den alten Stauferkaiser Barbarossa. »Beginnen wir doch von vorn, Fräulein Lene«,
meinte er gutmütig und eine Nuance vertrauter, als er ihr die Hand reichte. »Gestatten,
mein Name ist Botho Goltz, meines Zeichens Professor der Philosophie. Wie gesagt,
heute Nachmittag war ich in Nöten. Sie müssen wissen, ich habe unten beim Schlachter
um die Ecke ein prächtiges, saftiges Nierstück erstanden. Da ich neulich erst eingezogen
bin, ist meine Mansarde noch unvollständig eingerichtet. Teller, Gläser, sogar eine
Bratenplatte für den eisernen Gussofen – alles vorhanden. Lediglich das Besteck
fehlt noch. Deshalb habe ich bei Herrn Haldern geklopft, um mir ein Messer auszuleihen,
mit dem ich das Filet tranchieren konnte. Warten Sie bitte einen Moment, Fräulein
Lene.«
    Er wandte
sich um und verschwand in seiner Mansarde. Draußen im Flur vernahm die Frau ein
Rascheln und Stühlerücken. Als der Professor zurückkam, hielt er ein längliches,
mit Zeitungspapier umwickeltes Päckchen in den Händen. Es waren Seiten des meistgelesenen
deutschen Presseerzeugnisses, nämlich der Allgemeinen Zeitung, wie Lene erkennen
konnte.
    »Ich hatte
kein Wasser mehr, um die Klinge zu reinigen«, entschuldigte sich Goltz.
    »Schon gut.
Das macht nichts.«
    Er reichte
ihr das eingewickelte Messer und geraume Zeit standen sie wortlos voreinander. Der
Dirne war es, als werde sie von dem Mann gemustert.
    »Sie haben
vorhin von zwei Gefallen gesprochen«, brach sie schließlich das Schweigen, als es
ihr zu unbehaglich wurde.
    »Richtig,
ja. Nun, wie soll ich das erklären, Fräulein Kulm? Meine zweite Bitte ist ungleich
delikater. Es ist schwierig, die passenden Worte zu finden.«
    »Tun Sie
sich keinen Zwang an, Herr Professor.«
    »Sie haben
sich bestimmt schon gefragt, warum ein Mann wie ich in eine solche Gegend zieht,
die seinem Stand nicht angemessen erscheint? Damit will ich Sie und Ihren Herrn
Verlobten natürlich in keiner Weise kränken.«
    »Natürlich
nicht«, bestätigte Lene naiv.
    »Der Grund
hierfür ist in der menschlichen Natur zu suchen, die leider Gottes nicht immer aufs
Beste bestellt ist. Wir Menschenkinder sind den Trieben unterworfen. Eine meiner
hervorragendsten Eigenschaften ist die Lust. Dies kann ich eingestehen. Allein meine
Statur verrät Ihnen, dass ich gern esse und guten Wein nicht verachte. Doch damit
nicht genug, ich weiß auch schöne Frauen zu würdigen. Und gerade Sie, Fräulein Lene,
sind eine ausgesprochen schöne Frau.«
    Sie errötete
leicht. Dass er zu einer persönlicheren Anrede übergegangen war, schien sie nicht
einmal zu bemerken.
    »Ich? Aber
nicht doch, Herr Professor.«
    »Doch, doch,
Lene. Einzig Ihre Nähe habe ich gesucht. Sie sind mir aufgefallen. Und genieren
Sie sich nicht, meine Kleine, ich weiß um Ihre heimlichen Einkünfte.«
    Der Hure
dämmerte es allmählich, worauf der Dicke hinauswollte. Die Männer sind doch alle
gleich, dachte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Kaum sehen sie ein hübsches
Ding, denken sie nicht mehr mit dem Kopf. Aber eher soll er von mir 100 Schläge
auf seine fette, rote Gesichtsgurke bekommen, als dass ich 100 Silbergroschen dafür
annehme, mit ihm ins Bett zu gehen. Das wäre ja noch schöner, wenn ich mich schon
mit den Nachbarn einließe.
    Unbeirrt
von ihrer abweisenden Haltung fuhr Botho Goltz fort: »Lene, ich gäbe viel dafür,
gemeinsam mit Ihnen dem Eros zu opfern, Sie auf den Altar zu legen und Ihren makellosen
Körper in einer Mysterienfeier kultisch zu verehren. Aber diese Zeiten sind leider
längst vorbei … Und dennoch,
Lene, ich will Sie. Noch heute, noch diese Nacht.«
    »Ich bin
verlobt«, brachte sie leise hervor.
    »Und ich
habe schon mit Herrn Haldern über mein Ansinnen gesprochen.«
    »Sie haben
was?«
    »Gehen Sie
hinein, Lene, werfen Sie einen Blick auf die Kommode in Ihrer Mansarde. Dort liegt
die erste Anzahlung für unsere Liebesnacht. Ihr Freund war so gütig, meinem Anliegen
einen positiven Bescheid zu geben.«
    »Positiver
Bescheid?«, wiederholte sie ungläubig. Sie drehte sich um, drückte die Klinke und
betrat ihre Mansarde. Auf der Abstellfläche der Kommode erkannte sie ein Bündel
Banknoten. Aus dem Nebenzimmer drangen Gregors Schnarchgeräusche.
    »So viel
Geld«, entfuhr es ihr.
    »Und es
gibt noch mehr«, flüsterte eine Stimme hinter ihr. Der rothaarige Mann war näher
getreten. Er fletschte die Zähne und fuhr sich mit der Zunge über
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