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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse
Autoren: Armin Oehri
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daneben und musterte
ihn mit dem Blick eines unbarmherzigen Raubtiers. Schwindel erfasste den Studenten,
als er Pastor Gottfried Sternberg erblickte. Filines Vater hielt ein Buch in den
Händen, den zerrissenen Rest eines Kolportageromans. Im Hintergrund prasselte ein
Feuer im Ofen, das mit den Bänden aus Bentheims Bibliothek genährt wurde. Es war,
als wohnte Julius einem Theaterstück bei, dessen Ende für alle absehbar war.
    »Wenn man
das in Ihrem Heim machte?«, meinte er mit dem Mut des Verzweifelten. »Die Lebensbeschreibung
des Heiligen Thomas, an der Sie angeblich arbeiten, den Flammen übergäbe? Was hielten
Sie davon?«
    »Ich schreibe
Erbauliches, Herr Bentheim. Von der Lektüre der billigen Sensationsromane, die ich
hier vorgefunden habe, bekommt man lediglich eine schmutzige Fantasie. Ihre Bilder
voller Perversitäten und Sünde sind der Beweis dafür.«
    Obwohl er
keine der Skizzen zu Gesicht bekommen hatte, grinste einer der Männer anzüglich.
Sie mochten zwar grobschlächtige Kerle sein, doch in ihren Mienen zeigte sich kein
persönlich motivierter Groll gegenüber Julius. Sie taten ihre Arbeit, und der Pastor
musste sie gut entlohnt haben.
    »Sie hätten
bei den Heiligenbildchen bleiben sollen, die Sie anfangs für Filine und mich gemalt
haben«, fuhr der Pastor fort. Er ließ seinen Blick umherschweifen und betrachtete
den trübseligen Raum, als würde ihm in ebendiesem Moment bewusst, dass dieser alles
darstellte, was das Leben seiner Tochter in den letzten Wochen ausgemacht hatte.
»Einkehr und Buße sind alles, was ich Ihnen anempfehlen kann.«
    »Was haben
Sie mit Filine gemacht?«
    »Sie werden
sie nie wieder sehen.«
    »Wo ist
sie? Geht es ihr gut?«
    Der Pastor
zog ein Taschentuch aus der Weste und säuberte sich damit die Hände. Geistesabwesend
besah er die Finger, bevor er das Tuch wieder einsteckte.
    »Schwören
Sie, dass Sie sie unbehelligt lassen!«
    Mit einem
Blick, in dem sich der ganze Groll auf die Welt entlud, sah Gottfried Sternberg
Bentheim an.
    »Schwören?«,
höhnte er. »Ein Mann Gottes schwört nicht. Es steht geschrieben, dass man weder
den Himmel zum Zeugen anrufen noch sich mit dem eigenen Kopf für etwas verbürgen
soll. Schwören ist des Teufels. Mein Misstrauen in Sie erwies sich als gerechtfertigt,
wenn auch in anderer Weise, als ich es erwartet hatte.«
    »Wir lieben
uns«, erwiderte Julius.
    »Liebe?
Seien Sie nicht albern: Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding. Wer mag es
ergründen?« Er bückte sich, um die Ofentür zu öffnen, und warf den Roman ins Feuer.
Als er sich erhob, meinte er mit Nachdruck: »Wir werden uns nie wieder sehen, Herr
Bentheim.«
    Der hagere
Mann trat an Julius vorbei in den Flur und seine Begleiter erhoben sich. Einer von
ihnen knackte mit den Fingerknöcheln. Sie behielten ihn im Auge, gaben ihm Zeit,
sich mit der Situation abzufinden, bis ihr Auftraggeber im Treppenhaus verschwunden
war. Als Julius etwas sagen wollte, traf ihn die Faust des Rothaarigen. Dumpf röchelnd
sank der Student auf die Knie. Er wusste, dass er nicht kampfunfähig war, doch sich
zu wehren hätte alles verschlimmert. Ein Ellenbogen fuhr mit aller Härte in sein
Gesicht, sodass ein Spritzer Blut aus seinem Mund den Tisch und den Boden beschmutzte.
Julius wollte auf die Beine kommen, doch er wurde gepackt, von kräftigen Händen
hochgehoben und durchs Zimmer geschleudert. In grotesker Verrenkung lag er auf der
Matratze, auf der Filine und er sich an den Abenden geliebt hatten, und rang nach
Atem.
    Seine Nase
blutete heftig. Er spuckte aus, als er auf die Beine kam, und lehnte sich an die
Wand.
    »Nimm es
nicht persönlich, Kleiner«, meinte der Blonde.
    Ein Fausthieb
in den Magen nahm ihm die Luft, ein Kinnhaken ließ seine Welt ins Taumeln geraten.
Als er wieder am Boden lag, holte der Rothaarige mit dem Fuß aus und trat ihm in
die Rippen, die bedenklich knackten. Eine Woge des Schmerzes durchfuhr ihn, er befand
sich am Rande der Ohnmacht und wie von weit her vernahm er das leiser werdende Getrappel
sich entfernender Schritte. Filines Gesicht trat ihm vor die Augen, in Gedanken
fuhr er ihr durch die Haare. Seine Faust ballte sich um den Zipfel eines Kissens,
ein dünnes rotes Rinnsal lief aus seinem eingerissenen Mundwinkel. Wie Wellenschläge
pochte der Schmerz hinter seiner Stirn. Er hustete.
    Ich werde
dich finden, dachte der junge Tatortzeichner, während er sich jäh straffte. Ich
werde dich suchen und finden und diesem Scheusal entreißen. Ich habe
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