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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse
Autoren: Armin Oehri
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aufgeregt.
    »Na, ein
Eimer eben. Ist doch gehüpft wie gesprungen. Einer ist wie der andere.«
    Energisch
packte Julius Bentheim Albrecht am Arm. »Wir müssen gehen!«, sagte er, denn er wusste,
dass es überhaupt nicht egal war, in welchen Eimer der Hausmeister gegriffen hatte.
     
    »Und mittlerweile geht es Ihnen
besser?«
    »So prächtig
wie zuvor.«
    Der ältere
Mann, mit dem sie sprachen, trug einen Arbeitskittel, an dem er lachend die Hände
abrieb. Zu seinen Füßen stand ein Putzeimer mit Ledertuch und Schwämmen. Sein faltiges
Gesicht und seine ganze Art waren einnehmend, seine Antworten freundlich. Er hieß
Jonathan Luck und war seit mehr als drei Jahrzehnten für die Reinigung der Akademie
zuständig.
    »Wiederholen
Sie alles noch einmal, Herr Luck. Tun Sie uns den Gefallen.«
    »Nun, wie
gesagt, ich habe den ollen Tiberius abgewedelt …«
    »Die Kaiserbüste?«,
unterbrach ihn Krosick.
    »Ja, diesen
hässlichen Staubfänger im Flur. Als ich damit fertig war, ging ich dazu über, im
letzten Zimmer das Katheder und die Stühle zu säubern. Einmal die Woche muss man
gründlich mit dem Lumpen drüber.«
    »Und dann?«
    »Tja, dann
wollte ich den Eimer leeren, als ich diese prächtigen Handschuhe sah. Ein Wink des
Himmels, sag ich Ihnen. Bei meiner Arbeit kann man so ein Paar gut gebrauchen, dachte
ich. Wenn Sie wüssten, wie viele Holzsplitter ich mir am Ende einer Schicht aus
dem Fleisch ziehen muss. Überall diese alten Holzgeländer und Täfelungen.«
    Mit fahriger
Anspannung meinte Julius: »Haben Sie sie angefasst?«
    »Die Handschuhe?«
    »Ja.«
    »Gewiss«,
antwortete der alte Mann. »So etwas wollte ich mir nicht entgehen lassen. Aber kaum
bückte ich mich und griff danach, wurde mir schon schwarz vor Augen. Man ist auch
nicht mehr der Jüngste, müssen Sie wissen. Und anscheinend war ich allergisch auf
diesen Stoff. Im Frühling hab ich’s mit den Pollen, da tränen mir die Augen. Je
älter man wird, desto mehr Wehwehchen bekommt man.«
    »Wo sind
die Handschuhe jetzt?«
    »Na, entsorgt
natürlich. Die liegen auf irgendeiner Halde draußen in den Vorstädten. Was sollte
ich denn auch damit anfangen?«
    »Herrje«,
seufzte Krosick. »Könnten Sie sie zumindest beschreiben, Herr Luck, wäre das möglich?
Bestanden sie aus Maroquinleder? Aus Saffianleder? Chamoisleder? Wie sahen sie aus?
Edel oder eher billig?«
    Der Hausmeister
schüttelte den Kopf. »Ganz gewöhnliches Schweinsleder.«
    Albrecht
deutete nach unten. »So wie dieser Putzlappen?«
    »Ja, genau
so.«
    »Dann, lieber
Herr Luck, stellen Sie sich doch einmal die Frage, weshalb der eine bei Ihnen eine
allergische Reaktion auslöste, der andere hier aber nicht …«
     
    Bei einem kleinen Umtrunk in einer
Arbeiterkneipe besprachen sie das weitere Vorgehen und kamen zum Ergebnis, im Präsidium
am Molkenmarkt den offiziellen Totenschein des Professors einzusehen. Julius griff
nach dem Zeichenblock, den er stets in seiner Mappe bei sich führte, und verlangte
von der Schankmagd die aktuelle Morgenausgabe irgendeiner Zeitung. Schnell hatte
er ein passendes Foto von Botho Goltz gefunden und übertrug es detailgetreu auf
ein Blatt Papier.
    »Das ist
unsere Eintrittskarte«, erklärte er, während sein Stift über das Blatt fuhr. »Ich
werde vorgeben, mein Porträt aus der Gerichtsverhandlung den Akten hinzufügen zu
müssen.«
    »Und das
nimmt man dir ab?«
    »Das interessiert
niemanden«, erwiderte Bentheim. »Ich war schon einmal da unten im Keller. Der Wächter
lässt einen in Ruhe. Er ist froh, wenn man ihn nicht stört.«
    Tatsächlich
winkte Alexander Dresky, der beleibte Leiter der Asservatenkammer, die zwei Besucher
zu den Schränken durch. Wie bereits beim letzten Mal war er mit einem belegten Brötchen
beschäftigt und nicht gewillt, sich stören zu lassen. Mit vollem Mund meinte er:
»Goltz? Bei den Neueingängen. Noch nicht geordnet. Eine offene Kiste. Nicht zu verfehlen.«
    Der Zeichner
bedankte sich und führte Krosick in die kleine Nebenkammer mit dem Tisch, auf welchem
Julius vor ein paar Wochen die Akte Hackeborn durchgesehen hatte. In einem hölzernen
Kasten am Boden stapelten sich in wilder Unordnung die Dokumente. Julius zog einige
heraus, bis er die Akte Goltz in Händen hielt.
    »Los! Was
steht drin?«, wollte Albrecht wissen.
    Bentheim
zog ein paar amtliche Formulare sowie ein ärztliches Schreiben hervor, das er überflog,
und zitierte ein paar Schlagworte, die ihm wichtig erschienen: »Kein Puls, Pupillentest
negativ,
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