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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse
Autoren: Armin Oehri
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sie zu überprüfen. Er griff nach Kugel, Zündhütchen, Lunte
und Pulver und präparierte die Waffe mit einigen wenigen professionellen Handgriffen.
    Bissing
verfolgte das Geschehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Als Julius die Pistole zurück
auf den Tisch legte, meinte der Kommissar: »Sie haben vorhin die Handschuhe erwähnt.«
    »Ja«, sagte
Albrecht und stellte den Faun zurück, »wir wissen, wie Sie es angestellt haben.
Uns interessiert jedoch die Art des Giftes.«
    »Das Gift
der Tetraodontidae«, erklärte er und setzte sich an den Tisch. »So nennt man die
Familie einiger bunter Korallenfische. Sie besitzen vier breite Zahnplatten, mit
denen sie das Gehäuse von Muscheln, Schnecken und Krebsen aufbrechen können. Daher
auch ihr lateinischer Name. Wenn diese Fische bedroht werden, blasen sie sich durch
Luft- oder Wasseraufnahme zu einer Kugel auf, weshalb man sie auch Kugelfische nennt.
Aufgrund des Tetrodotoxins ist ihr Verzehr lebensgefährlich.«
    »Aber der
Professor hat doch nichts gegessen.«
    »Der Verzehr
ist lebensgefährlich, Herr Bentheim, nicht aber der Kontakt mit der bloßen Haut.
Hier kann es zu Lähmungserscheinungen kommen, die je nach Dosierung unterschiedlich
lang anhalten. Das Gift wird von der menschlichen Haut aufgenommen und gelangt in
den Blutkreislauf. Ungeübte Mediziner können einen auf diese Art Vergifteten nicht
mehr von einem Toten unterscheiden.«
    »Sie hatten
eine Dose mit diesem Toxin in Ihrer Tasche, nehme ich an.«
    »Ja, ich
wusste im Voraus, was der Inhalt von Botho Goltz’ Vortrag sein würde. Sie erinnern
sich, meine Herren: Es lief eine Wette zwischen dem Professor und mir. Mit bloßer
Hand konnte ich ihm das Gift nicht auf die Haut schmieren. Deshalb brauchte ich
einen Handschuh.«
    »Es wäre
der perfekte Mord gewesen, wenn Sie die Handschuhe anderswo entsorgt hätten«, sagte
Albrecht kühl. »So haben wir uns alles zusammengereimt: die Handschuhe, das Gift,
Ihre Lektüre mit all den lebendig Begrabenen.«
    Bissing
lächelte. »Wissen Sie, was ironisch ist? Als der Professor aus seiner Starre erwachte
und allmählich seine Lage erfasste, wie muss es ihn da aufgebracht haben, dass auch
mir ein perfekter Mord gelang! Ein Bild für die Götter.«
    Julius und
Albrecht erwiderten nichts.
    Bissing
deutete mit einer Kopfbewegung auf die Schreibutensilien und meinte: »Für meinen
letzten Willen?«
    Albrecht
Krosick nickte.
    »Vernichten
Sie alle Unterlagen, die auf Ihre Verwicklungen in den Mordfällen Goltz und Hackeborn
hinweisen und schreiben Sie einen Abschiedsbrief. Die Berliner Polizei kann es sich
nicht leisten, dass Ihre persönliche Selbstjustiz bekannt wird. Ach ja, es wäre
ein galanter Zug von Ihnen, auch alle Aktbilder, die sie besitzen, zu verbrennen.«
    »Im Fall
Hackeborn haben Sie also auch schon Lunte gerochen …«
    »Wie gesagt,
wir haben Beweise. Sie und Goltz sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Scheusale
durch und durch.«
    »Sie sollen
aber eines wissen: Der Professor hat sich an Unschuldigen vergriffen; zwar in den
Augen der Gesellschaft moralisch verwerfliche Figuren, aber dennoch Unschuldige,
die niemandem etwas zuleide getan haben. Meine Opfer hingegen waren schuldig. Botho
Goltz war bewiesenermaßen ein Mörder und Viktor Hackeborn ein Vergewaltiger.«
    Bentheim
atmete tief durch.
    »Offensichtlich
haben Sie einen anderen Gerechtigkeitssinn als wir«, sagte er. »Gab es noch weitere
Opfer? Ich entsinne mich eines Gesprächs zwischen Ihnen und Gideon Horlitz auf dem
Flur des Kollegienhauses. Sie deuteten an, das schlechte Gewissen hole bisweilen
den einen oder anderen Kriminellen ein.«
    Bissing
sah ihn herausfordernd an. Mit den Fingern klopfte er einen Takt auf der Tischplatte
und schnalzte einmal mit der Zunge.
    Mit mysteriösem
Unterton wiederholte er die Worte des Tatortzeichners: »Den einen oder anderen,
Herr Bentheim, da liegen Sie vollkommen richtig.« Daraufhin erhob er sich und reichte
den beiden Studenten die Hand. »Seien Sie unbesorgt, meine Herren, ich war stets
darauf bedacht, keine Beweise zu hinterlassen. Ich habe weder Frau noch Kind und
mein Nachlass ist geordnet. Zudem darf ich Sie meiner aufrichtigen Bewunderung versichern«,
meinte er melancholisch lächelnd. »Das Palais Grumbkow kann stolz auf seinen Nachwuchs
sein. Grüßen Sie Horlitz von mir. Und nun meine Verehrung, die Herren.«
    Er geleitete
sie zur Tür.
    Als sie
wieder draußen waren, überquerten sie die Straße und lehnten sich an die Kaimauer,
von wo aus
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