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Die dritte Weissagung

Die dritte Weissagung

Titel: Die dritte Weissagung
Autoren: Vampira VA
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selbst seinem schlimmsten Feinde wünschen?
    Ich war lange Jahre Scharfrichter und habe dies alles gesehen. Und ich sage dir, in keinem Punkt war der Tod durch diese Höllenma-schine humaner als jede andere Art, aus dem Leben zu scheiden!
    Ich weiß nicht, wie viele Leben ich allein im Laufe des letzten Jahres genommen habe, wie viele Unselige durch meine Hand starben, die einfach nur das Pech hatten, politisch anders zu denken oder verdächtig zu sein. Wem auch immer .
    Ich habe an die Ideale der Revolution geglaubt. Habe deswegen bereitwillig, reinen Herzens und besten Wissens den Tod gesät unter allen Feinden, die unsere junge Freiheit zu fürchten hatte. Und wenn ich mich auch in meinem ganzen Zweifel an den unerschütterlichen Glauben klammere, daß ich mein Amt für eine gute Sache ausübte, so erschüttert mich jetzt die Vermutung, nein, die Erkenntnis daß ich mich habe mißbrauchen lassen zu Zwecken, die nichts mit der Revolution, nichts mit den bedeutenden Dingen zu tun ha -ben, die unser Reich reformieren sollten .
    Wir, die wir aufgeklärt sind von den hell leuchtenden Geistern unserer Zeit, von Voltaire, La Mettrie, d'Holbach, Montesqieu und Condorcet, sind zurückgefallen in die Abgründe der tiefsten mittelalterlichen Vergangenheit und haben das Wiederaufleben lassen, was wir eigentlich weit hinter uns gelassen zu haben glaubten. Wie lächerlich erscheinen uns heute Verdächtigungen wie solche gegen unschuldige Frauen, die angeblich ihre Mitmenschen mit bösem Kräuterzauber behext, die mit dem Teufel gebuhlt und beim Hexensabbat gotteslästerliche Rituale gefeiert haben sollen. Doch wie lächerlich werden wir dereinst in den Augen kommender Generationen aussehen, wenn sie davon hören, daß wir unsere großen Denker und einstigen Lehrer unter die Guillotine schoben, nur weil irgendein demagogischer Kleingeist sie als Verräter oder einfach als Verdächtige denunzierte ...
    So ist es auch an jenem Tag gewesen, als ein anonymes Schreiben an der Tür unseres braven Bürgers Gabin hing. Mit dem handgeschriebenen Brief wollte ein »Sympathisant«, wie der Verfasser sich selbst bezeichnete, auf die Machenschaften eines überlebenden Adeligen aufmerksam machen, nämlich auf einen ausländischen Grafen, der in einem Bürgerhaus am Montmartre residierte und angeblich Geheimdienstverbindungen zum Königreich England unterhielt -und dies bedeutete in diesen Tagen den sicheren Tod!
    Verwunderlich waren nur die geheimnisvollen Instruktionen, die der unbekannte »Sympathisant« zur Verhaftung und anschließenden Hinrichtung dieses angeblich aus Rumänien stammenden Landesverräters mitlieferte. Man solle ihn kurz vor Tagesanbruch in seinem Hause auflauern und verhaften - man könne ihn ganz leicht in Schach halten mit Feuer und den Insignien des Herrn, da er als rumänischer Fürst sehr gottesfürchtig sei ... Man solle ihn sogleich in ein finsteres, sonnenabgeschiedenes Verlies bringen und am nächsten Abend nach Sonnenuntergang zum Schafott führen. Und ihn enthaupten.
    Mon Dieu, wie dumm müssen wir gewesen sein, daß wir nicht argwöhnten . wie dumm .
    Im Dunkeln führten sie den Delinquenten, den niemand verstand, da er uns in dieser fremden, unkultiviert klingenden Sprache anbrüllte, zum Marktplatz, eingerahmt von bewaffneten Männern mit Kreuzen. Trommler gingen vorneweg und schlugen den langsamen Marsch an, mit dem jeder zum Tode Verurteilte zu mir geleitet wurde. Die Menge auf dem Marktplatz war ruhig, so daß einzig das Geschrei des rumänischen Grafen zu hören war. Oh, er schrie sich wahrhaftig die zum Tode verdammte Seele aus dem Leib. Vielleicht aus Verzweiflung, dachte ich damals. Heute denke ich, es war der Schmerz, der ihm zugefügt wurde von den heiligen Insignien, mit denen man ihn in Schach hielt. Damals dachte ich, die Todesangst wäre verantwortlich für die erschreckende Blässe seines Gesichts. Heute weiß ich, daß er schon immer so blaß gewesen sein muß . so . blutleer.
    Als er hinkniete vor der großen Guillotine, verstummte sein Geschrei. Wie bei den meisten, die von der Erkenntnis erfaßt wurden, daß ihr Tod nun unmittelbar bevorstand. Schicksalergeben beugte er sich vor, die Hände auf den Rücken gebunden, das Gesicht angespannt, während ich mit einem Holzrahmen seinen Hals fixierte.
    Er schloß die Augen. Und auf einmal legte sich ein Ausdruck von Ruhe, von Gefaßtheit und Frieden über seine Züge, ich habe das schon oft erlebt. Und ich weiß, daß es besser ist, wenn man es
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