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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport
Autoren: Cathleen Schine
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auch vergönnt sein würde, und bemitleidete sich ein wenig, weil er wohl in so hohem Alter sterben würde, dass seine Freunde auch nicht mehr am Leben sein würden. Er kannte alle Anwesenden – Paare, Witwen, Witwer, neu verheiratete Paare, erwachsene Kinder, erwachsene Enkel. So viele Menschen aus seinem Leben mit Betty, die ihn allesamt mit einer Mischung ausTrauer und Neugierde begrüßten. Wie er wohl damit zurechtkommt ?, schienen sie sich zu fragen. Nicht gut , hätte er gerne geantwortet. Meine Betty ist nicht mehr da. Ich habe meine Betty gehen lassen . Stattdessen lächelte er tapfer, drückte den Leuten herzlich die Hand, schaute sie ausdrucksvoll an, umarmte sie liebevoll, küsste sie zärtlich. Ich habe meine Betty gehen lassen , dachte er unterTränen. Und nun ist sie nicht mehr da .
    Lou sagte nichts zu Joseph, sondern drückte ihm nur die Hand und umarmte ihn dann. R osalyn fragte nach Gwen.
    Einen Moment lang wollte Joseph nicht einfallen, wer Gwen war.
    Er entdeckte Annie und Miranda, und ihm fiel auf, wie sehr die beiden trotz ihrer Unterschiedlichkeit Betty ähnelten. Auch Annies Söhne waren gekommen. Sie lösten sich von ihrer Mutter und kamen zu ihm. Sie sagten »Opa Josie« zu ihm.
    Dann kamen seine Töchter und weinten in seinen Armen.
    Alle sind hier, dachte Joseph. Und doch niemand.
    Auch Frederick Barrow kam zu Bettys Begräbnis.
    »Ich hoffe, es macht dir nichts aus«, sagte er zu Annie und umarmte sie. »Ich weiß, dass es eigenartig ist – wegen Felicity und allem. Aber deine Mutter war eine wunderbare Frau. Und …« Er hielt inne. »Und du bist das auch«, fügte er hinzu. Dann verstummte er erneut und sagte schließlich: »Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild.«
    Annie versuchte, sich ihre Betroffenheit nicht anmerken zu lassen. Betroffen zu reagieren auf die Beileidsbezeugungen eines Mannes, selbst wenn er ihnen ein etwas unpassendes Zitat aus Macbeth folgen ließ, war unhöflich. Aber wenn die eigene Mutter begraben wurde, durfte man wohl mal unhöflich sein. Man fühlte sich jedenfalls wie betäubt. Man schwankte zwischen Stummheit und bitterenTränen. Man wusste mit Zitaten nichts anzufangen. Man lachte. Man war vollkommen außer sich. Und man reagierte betroffen.
    Na und?, dachte Annie. Meine Mutter ist gestorben. Wieso verschwinden die nicht alle, damit ich alleine sein kann mit meiner Mutterlosigkeit?
    Frederick senkte fast schüchtern den Kopf und blickte dann wieder auf. In seinen Augen lag ein Funkeln. »Es ist eine ganzeWeile her, nicht?«
    War es wirklich möglich, dass Frederick amTag der Beerdigung ihrer Mutter mit ihr flirtete? Annie wandte sich ab. Frederick ergriff rasch ihre Hand. »Annie«, sagte er mit heiserer Stimme. »Es ist mir ernst. Ich weiß, dass das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Es tut mir so leid mit deiner Mutter. Aber ich möchte dir auch sagen, dass mir wohl bewusst ist, dass ich mich nicht … ich meine, ich habe mich nicht so verhalten, wie ich es gerne getan hätte … aber ich würde gerne dort wieder ansetzen, wo wir aufgehört haben … noch mal einenVersuch machen …«
    Josie stand alleine da und starrte ins Leere. Wieso war er alleine? Wo war Betty? Wo ist meine Mutter?, fragte sich Annie. Meine Mutter soll da sein. Es war zu warm im Zimmer. Frederick wollte da weitermachen, wo sie aufgehört hatten.
    Sie zog ihre Hand zurück. »Wie geht es Amber?«
    »Amber?«, sagte Frederick verächtlich. »Ist auf Hochzeitsreise.«
    Annie sah ihn verwirrt an. Amber war auf Hochzeitsreise. Frederick hatte nun auch noch ihre andere Hand ergriffen, als wolle er mit ihr tanzen. Sie sah, wie Miranda an Charlies Schulter weinte. Sie wollte auch an Charlies Schulter weinen. Aber Amber war auf Hochzeitsreise. »Auf Hochzeitsreise? Alleine ?«
    »Natürlich nicht alleine«, antwortete Frederick, sichtlich gereizt über die Unterbrechung seiner ernsthaften Erklärung. »Mit Evan.«
    »Mit Evan ?«
    »Ah, Evan, mein missratener Sohn … Aber nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern, die wahrhaft gleichgestimmt …«
    Annie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Vielleicht war Frederick verrückt. Auf den Gedanken war sie noch nie zuvor gekommen.Wahrhaftig der Bund zweier Gleichgestimmter.
    Frederick musste unwillkürlich lachen. Annie sah aus wie der Inbegriff derVerwirrtheit. »Jetzt hat die Höll’ ihr Meisterstück gemacht!«
    Wieder Macbeth ?, dachte sie automatisch. Dann sagte sie: »Aber Amber und Evan …«
    »Ziemlich
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