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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport
Autoren: Cathleen Schine
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zitterte. Miranda sah sie erstaunt an. Leanne trat einen Schritt auf sie zu, und Miranda fragte sich, ob sie selbst wohl auch so zitterte. Ja, stellte sie fest. Sie beobachtete sich selbst von fern, aus einem anderen Leben, und dachte: Das war’s. Jetzt ist alles aus. Der Sprung ins Leere, die Füße zappeln noch, die Luft ist dünn, hoch über der harten rissigen Erde.
    »Ich wollte mit dir reden«, sagte sie. Aber sie redete nicht. Ihre Finger glitten über Leannes Mund, berührten sachte ihre Lippen. Ihre Hand strich über LeannesWange, glitt hinter ihr Ohr, umfasste ihren Kopf. Zog ihn näher zu sich heran. Und dann berührten ihre Lippen Leannes Lippen.

21
    In der darauffolgendenWoche starb Betty. Die Infektion hatte ihr Herz erfasst. Das kleine Cottage erschien Annie und Miranda riesig, leer und bedrohlich. Der Himmel sank auf sie herab.
    Im dünnen schwachen Mondlicht wanderte Miranda nachts durch die Zimmer. Sie stieg dieTreppe hinauf und erinnerte sich an den Abend, als sie auf dem Absatz gestanden und ihre schlafende Mutter betrachtet hatte. Der Abend der Zikaden. Jetzt gab es keine Zikaden mehr.
    Ihre Mutter hatte so klein und blass ausgesehen.
    Miranda schaute auf das Bett, das Bett ihrer Mutter, in dem keine Mutter mehr lag.
    »Ach, Mom«, sagte sie.
    Oder hatte Annie das gesagt? Annie war plötzlich neben ihr. Und sie lagen im Bett ihrer Mutter und hielten sich in den Armen.
    »Mom«, sagten sie. »Ach, Mom, Mom, Mom.«
    »Siehst du?«, sagte Felicity. »Du bist wirklich sehr großzügig gewesen gegenüber deinen Stieftöchtern.«
    Ja, das stimmte, meinte Joseph. Betty hatte ihnen alles vererbt. DieWohnung und dieVermögensanteile fielen Miranda und Annie zu.
    »Wie es sein sollte«, sagte Joseph.
    »Nun ja, sollte, konnte, würde – das ist alles dir zu verdanken. Dank dir und deinem Gerechtigkeitssinn sind Annie und Miranda jetzt Erbinnen«, sagte Felicity. »Der Herr möge sie segnen.«
    Joseph nickte. Seine Mädchen waren abgesichert, das stand fest.
    »Ich bin so froh, dass ich dich und deine Beziehung zu deiner Familie unterstützen konnte. Familie ist das Wichtigste, das habe ich immer gesagt.«
    Dennoch bat Joseph Felicity nicht, ihn zum Begräbnis zu begleiten.
    »Familie ist das Wichtigste«, wiederholte Felicity mit ziemlich strenger Miene, aber Joseph reagierte nicht. An diesem Abend goss er sich seinen Whisky selbst ein, nahm ihn mit in sein Arbeitszimmer und machte die Tür hinter sich zu.
    Annie und Miranda hörten für eineWeile zu weinen auf, um eineTasse Kaffee zu trinken. Annie nahm wahr, dass sie die Kaffeekanne in der Hand hielt, dass sie dieTassen aus dem Schrank nahm, die guten, die Betty besonders gemocht hatte. Sie goss ein, und der Kaffee floss in dieTasse.Warum?, fragte sie sich.Warum gab der Kaffee sich solche Mühe? DasTelefon klingelte. Ein Cousin aus Buffalo war dran. Sie übermittelte die Information: Morgen. Riverside. Danach in meiner Wohnung. Ja, danke. War sie. Ich weiß. Ja, alles Liebe auch für dich.
    »Wir sindWaisen«, sagte Miranda und begann wieder zu weinen.
    Oh, Miranda, muss das sein? Aber auch Annie weinte und hielt ihre Schwester in den Armen. Sie hatten den ganzenVormittag nichts anderes getan, als Leute anzurufen, zu informieren, zu organisieren und zu weinen. Die Nacht hatten sie in Bettys Bett zugebracht.
    Jetzt tranken sie stumm und erschöpft ihren Kaffee.
    »Ich werde dieses Haus hier vermissen«, sagte Annie nach einerWeile.
    Miranda kratzte sich mit beiden Händen am Kopf, zerrte sich die Haare aus dem Gesicht, gab ein sonderbares Geräusch von sich, das halb Seufzer, halb Stöhnen war und sagte: »Ich bleibe hier.«
    Und dann erzählte sie es Annie.
    »Und Leanne hat schon seit Monaten dasselbe empfunden, aber auch nichts gesagt, weil es ihr, na ja …«
    »Peinlich ist?« Annie war erschüttert. So etwas passierte einfach so, mir nichts, dir nichts? »Einfach so von heute auf morgen?«, sagte sie. »Einfach so?«
    »Meinst du, ich hätte eine Ausbildung dafür machen sollen? Ja, sicher, einfach so, wieVeränderungen und Erkenntnisse sich eben ereignen oder … die Liebe.«
    »Bei mir passiert nichts von heute auf morgen«, sagte Annie. »Sondern ganz allmählich.«
    »Gut. Dann verliebst du dich eben ganz allmählich in eine wunderbare Frau.«
    »Ach, Miranda, du weißt doch, wie ich das meine. Es ist nur … na ja, ich bin überrascht, das ist alles. Und vermutlich fühle ich mich ein bisschen betrogen.«
    »Es ist ja nicht so, als wäre
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