Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
Arme wieder um Marie und drückte sie so heftig an sich, dass es fast schmerzte.
    »Die Juden sind die Ersten, die Henri nachtrauern«, flüsterte er in ihr Ohr. »Ich frage mich, wie viele andere Leute in diesem Land es bald tun werden. Richard ist England völlig gleichgültig. Er träumt nur von seinem Kreuzzug, doch an dem will ich nicht teilnehmen. Das wurde mir heute endgültig klar. Ich habe genug von dem Schlachten.«
    Marie fühlte eine Woge der Erleichterung durch ihren Körper ziehen. Sie hatte auf diesen Entschluss gehofft, auch wenn man Jean nun einen Feigling nennen würde. Er hatte sich lange genug nach eigenem Land gesehnt, um endlich ein Leben in Frieden zu verdienen.

    Amélie riss sie aus diesen Gedanken, als sie hinter einem Berg von Decken im Türrahmen erschien.
    »Die Vogelscheuche hat nicht einmal etwas von weiteren Pennys gesagt«, berichtete sie. Marie breitete auf dem Boden ein Lager für die Nacht aus. Sie brauchten nun alle etwas Ruhe. Morgen würde sie noch einmal ihre Königin sehen, um dann in ihr neues Heim aufzubrechen. Sie beschloss, eine Nachricht nach Edwardstowe zu schicken. Ihre Tante sollte wissen, dass es ihr gut ging. Und sie wollte Hawisa vorschlagen, zusammen mit ihrer Familie in ihre Dienste zu treten. Die einstige Zofe würde ihr helfen können, eine gerechte und tüchtige Burgherrin zu werden.
    Jean fiel wie ein Toter auf die ausgebreiteten Decken. Marie legte ihren Kopf an seine Schulter, umarmte Amélie und spürte die Wärme von Roberts Hand in der ihren. Sie schloss die Augen.
    »Es wird schon nicht so schlimm kommen«, flüsterte sie in Jeans Ohr. »Aliénor wird sich um England kümmern, während Richard auf dem Kreuzzug ist.«
    Jean atmete friedlich. Ein leichtes Schnarchen drang aus seiner Kehle. Wie gewohnt versetzte Marie ihm einen Schubs, der ihn wieder leise werden ließ. Ihre verkrampften Glieder enstpannten sich, in ihrem Kopf entstand wieder Raum für neue Gedanken.
    Aliénor war durch den Zorn Gottes zur Herrscherin Englands geworden, wie sie es einst versprochen hatte. Marie überlegte, ihr bei dem morgigen Mahl einige ihrer neuen Geschichten zu überreichen. Vielleicht konnte sie wieder eine gefeierte Dichterin werden, die in der Gunst der Königin stand, aber nach all den Jahren schien ein unabhängiges, friedliches Leben als einfache Burgherrin ihr genug, um zufrieden zu sein.

Nachwort
    M arie de France gehört neben Chrétien de Troies zu den bedeutendsten französischen Autoren des Hochmittelalters. Sie verfasste eine Sammlung von Fabeln, den Ysopet, die angeblich die Übersetzung eines altenglischen Textes aus der Zeit von König Alfred sind, doch ihre Vorlage ist nicht erhalten geblieben. Darüber hinaus wird ihr L’Espurgatoire seint Patriz zugeschrieben, eine recht abenteuerliche Heiligenlegende über den Abstieg eines irischen Ritters in die Unterwelt. Sie gilt auch als mögliche Verfasserin von La Vie seinte Audree, einer weiteren Heiligenlegende. Dem modernen Leser sind allerdings ihre Lais, eine Sammlung von Liebesgeschichten, am zugänglichsten. Sie schildern in sehr schlichter, aber schöner Sprache die Beziehungen zwischen meist unglücklich verheirateten Damen und Rittern. Dabei steht Marie in der Tradition der fin amor, auch höfische Liebe genannt. Sie soll im 12. Jahrhundert in Aquitanien aufgekommen sein. Als erster bekannter Verfasser solcher Texte gilt Guillaume le Troubadour, Herzog von Aquitanien, der Großvater der berühmten Eleonore oder Aliénor auf provenzalisch. Er hinterließ neben eher frechen, anzüglichen Texten auch Liebeslieder, in denen die geliebte Frau als nahezu göttliches Wesen verehrt wird. Damit war zwar nicht - wie manchmal behauptet - die Liebe in der Literatur geboren, denn Liebesgeschichten gab es bereits in viel älteren Kulturen, doch stellen diese Texte eine
erstaunliche Aufwertung des weiblichen Geschlechts in einer Zeit dar, da Frauen weitgehend als Menschen zweiter Klasse galten. Vermutlich griff der aquitanische Herzog dabei auf eine lange Tradition fahrender Sänger zurück, deren Werke nicht erhalten geblieben sind. Es werden arabische Ursprünge vermutet, doch woher diese Idee der Frauenverehrung eigentlich stammt, ist unklar. Man weiß auch nicht, welche Wirkung dieses damals sehr beliebte Ideal auf die gesellschaftliche Realität hatte, wo Frauen der Oberschicht von ihren Vätern als Tauschpfand für politische Allianzen verheiratet wurden und für Ehebruch hart bestraft werden konnten. In
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher