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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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Alais denn schlimmer?«
    Emma seufzte.
    »Das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Aliénor betrachtet es als Vergehen, denn immerhin hat sie Alais in ihrer Obhut gehabt, bevor sie von ihr verraten wurde. Weißt du, was ich glaube, meine kleine Dichterin?«
    Emma beugte sich vor, um leise in Maries Ohr zu flüstern.
    »Zwar kann Aliénor Rosamond unmöglich vergiftet haben, wie manche Leute munkeln, aber tief in ihrem Inneren bedauert sie vielleicht, dass sie keine Gelegenheit dazu hatte.«
    Marie schüttelte einen Anflug von Widerwillen ab. Emmas Version der Geschichte gefiel ihr nicht.
    »Ich glaube, Aliénor hatte andere Sorgen. Und Alais war vielleicht einer der wenigen Menschen, die den alten Henri liebten.«
    Nur sein unehelicher Sohn hatte dem alten König beigestanden, als der nach der Niederlage gegen Richard elendig starb. Diener raubten seinen Leichnam aus, bevor der beflissene Ritter William eintraf, um ihn im Kloster von Fontevrault beisetzen zu lassen. Trotz allem Groll, den Marie gegen ihren Onkel hegte, hoffte sie, dass wenigstens Alais aus tiefstem Herzen um ihn trauerte.
    »Aber lassen wir diese alten Geschichten«, plauderte
Emma munter weiter, während sie die Weinpokale nochmals füllte. »Aus dir wurde tatsächlich Marie de Veizis! Ich muss sagen, meine kluge Nichte, du hattest stets einen erstaunlichen Hang zur Dickköpfigkeit.«
    Wider Willen musste Marie nun lachen.
    »Es war nicht einfach, das stimmt. Aber wie geht es dir mit deinem Waliser?«, fragte sie mit einem Anflug von Unbehagen. Sie wollte nicht hören, dass Emma vielleicht unglücklich war. Doch der entspannte Gesichtsausdruck ihrer Tante befreite sie von allen Sorgen.
    »Die Waliser sind schon reichlich rückständig, es mangelt ihnen an Kultiviertheit«, meinte Emma spitz. »Aber Davydd unterstützt mein Bestreben, sie zu erziehen. Trotz allem Murren seiner Landsleute.«
    Marie riss erstaunt die Augen auf. Davydd ap Owein verhielt sich nicht unbedingt klug, wenn er seine normannische Gemahlin für wichtiger hielt als die Wünsche seiner Untertanen. Aber Henris Heiratspolitik hatte der hochmütigen Schönheit wohl eben das geschenkt, wonach sie vorher vergeblich gesucht hatte: einen Mann, der sie wirklich liebte.
    Eine Weile verbrachten sie mit entspanntem Geplauder, dann erhob Emma sich.
    »Ich will mich jetzt herrichten, denn das Abendmahl sollen wir in Aliénors Gesellschaft einnehmen. Du solltest dich auch vorbereiten.«
    Sie warf einen kritischen Blick auf Maries schlichtes Gewand.
    »Ich kann dir einen meiner Bliauts leihen, wenn du willst. Und auch etwas Schmuck«, bot sie an. Marie drehte den schlichten Bronzering an ihrem Finger. Sie besaß keine anderen Juwelen, doch fühlte sie sich dennoch reicher als die meisten Frauen ihres Standes, da sie den Mann ihrer Wahl geheiratet hatte.

    »Danke, Emma, aber ich werde das Nötige schon auftreiben.«
    Mit einem nachsichtigen Nicken wurde sie entlassen. Ein Bote würde sie aus der Herberge holen, wenn es an der Zeit war.
    Marie verließ gemeinsam mit ihren Kindern den Palast und schlug den Weg am Themseufer Richtung London ein. Sie meinte, Schreie aus der Ferne zu hören, und hielt sie für Zeichen einer ausgelassenen Feier. Als sie der Stadt jedoch näher kamen, sah sie Rauchschwaden zum Himmel schweben.
    »Brennt dort ein Feuer?«, fragte Amélie verwirrt.
    »Wahrscheinlich ein Teil der Festlichkeiten«, versuchte Marie ihre Tochter zu beruhigen, obwohl ihr selbst unwohl wurde. Sie traten durch das Stadttor. Menschen liefen vor der Sankt-Pauls-Kathedrale herum, schwenkten Fackeln und schrien aus Leibeskräften. Drei blutende Gestalten wurden von Umstehenden mit Stöcken geprügelt und getreten, versuchten verzweifelt zu flüchten, doch immer wieder riss die Menge sie erbarmungslos nieder. Bevor Marie herausfinden konnte, worum es hier ging, wurde sie an eine Hauswand gedrängt. Sie umklammerte Adèle, winkte Amélie und Robert zu sich heran. Warum hatte sie auf den bewaffneten Begleitschutz verzichtet, den Emma ihr angeboten hatte? Auf einmal schien dieser Stolz albern, völlig unsinnig. Ein dumpfes Brodeln musste sich in einen Aufruhr verwandelt haben. Sie ergriff Roberts Hand und wies ihn an, Amélie festzuhalten, denn sie brauchte ihren anderen Arm für Adèle. Dann rannte sie los, stieß entschlossen Menschen zur Seite, verschloss ihre Ohren vor einem gellenden Schmerzensschrei, der aus der Ferne kam, aber alle anderen Geräusche für einen Moment verdrängte, und sprang
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