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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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ihren Eltern bleiben.
    »Hör zu, Marie« fuhr Jean dann ernster fort. »Richard ist eisern. Er will keine Frauen in der Kirche außer seiner Mutter, und bei dem Bankett, das anschließend stattfindet, darf nicht einmal Aliénor teilnehmen.«
    Marie verzog das Gesicht. Sie hatte bereits derartige Gerüchte gehört. Richard erklärte es mit seinem Gelübde, bald schon einen Kreuzzug zu beginnen. Aliénor war sicher nicht begeistert gewesen, doch musste sie mittlerweile begriffen haben, dass ihr Liebling nicht mehr der folgsame Junge von einst war.
    »Schon gut, wir werden ein bisschen durch London bummeln. Die Stadt quillt über vor Händlern, vielleicht findet Amélie etwas, das ihr gefällt«, meinte Marie gleichmütig, doch Jean schüttelte den Kopf.
    »Geh bitte gleich mit den Kindern in die Herberge zurück und warte, bis ich komme.«
    Marie holte Luft, um zu widersprechen, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.
    »Bitte, das ist nicht der richtige Moment für eine lange Diskussion. Tue einmal einfach nur, was ich sage. Hier in
der Stadt ist eine aufgeheizte Stimmung, die mir nicht gefällt.«
    Sie wollte sogleich erwidern, dass sie davon nichts bemerkt hatte, dann wurde ihr klar, wie wenig Zeit Jean blieb. Die Prozession war schon fast in der Kirche verschwunden.
    »Gut, ich gehe wieder in die Herberge«, versprach sie, drückte ihn noch einmal an sich und sah schließlich zu, wie er sich wieder durch die Menschenmenge kämpfte.
    Das Tor der Kirche fiel zu. Wieder setzte das Ungetüm aus Hunderten von Schaulustigen sich in Bewegung, um näher heranzurücken. Die reinen Klänge des Te Deum drangen aus dem steinernen Bau und ließen alle still innehalten. Auch Marie lauschte andächtig. Wenn die Messe vorbei war, wollte sie noch zusehen, wie die Prozession wieder in den Palast zog. Dann würde sie aufbrechen. Immerhin war sie sehr froh gewesen über einen Raum nur für sich und ihre Familie in der Herberge, was einem riesigen Saal voller Fremder vorzuziehen war.
    »Das ist endlich wieder ein richtig christlicher König«, hörte sie einen untersetzten Mann an ihrer Seite murmeln. »Er ruft zum Kreuzzug auf. Der alte Henri hatte nichts weiter im Sinn, als Steuern einzutreiben. Nur zu den gottlosen Juden war er nett.«
    Marie drehte sich erstaunt um, denn diese Aussage schien ihr völlig unsinnig.
    »Für den Kreuzzug werden sicher auch bald Steuern eingetrieben werden«, erwiderte auch schon jemand aus der Menge. »Henri hat sich wenigstens um dieses Land gekümmert. Nicht nur den Juden ging es unter seiner Herrschaft gut.«
    »Elendiger Judenfreund!«, knurrte der erste Redner, aber da er nicht sehen konnte, wer ihm widersprochen hatte, blieb er zum Glück friedlich.
    »Will die hübsche Jungfer mich auf einem Streifzug durch London begleiten?«, vernahm Marie stattdessen eine junge
Männerstimme in ihrem Rücken. Sie fuhr herum und sah, wie Amélie entschieden den Griff eines zudringlichen Fremden abschüttelte.
    »Lass die Tochter eines königlichen Ritters in Frieden!«, herrschte die den Mann an und zog ihr kleines Messer aus dem Gürtel. Als er zurückwich, nahm sie Amélies Hand.
    »Bleib immer nah bei mir. Wir gehen nach der Messe gleich in die Herberge.«
    Amélie verzog enttäuscht das Gesicht.
    »Ich würde gern mehr von der Stadt sehen. Es ist aufregend hier.«
    »Wir warten, bis dein Vater wieder bei uns ist. Dann bummeln wir noch ein bisschen herum«, versprach Marie ihrer Tochter. Amélie war Jeans Ebenbild, und manchmal fragte sie sich, wie ein derart bildschönes Wesen in ihrem Leib hatte heranwachsen können.
    Die Tore der Kirche öffneten sich erneut und die Menschenmenge machte ehrfürchtig Platz, damit die Prozession nun in den königlichen Palast ziehen konnte. Marie sprang noch einmal hoch, um Jean zuzuwinken, dann hoffte sie, dass dieses Ungetüm aus neugierigen Zuschauern sich endlich auflösen würde, damit sie den Rückweg nach London antreten könnten. Tatsächlich lichtete sich das Gedränge um sie herum allmählich. Sie hob Adèle erneut hoch, rief nach Robert und Amélie.
    Plötzlich erblickte Marie Männergesichter unter Kapuzen. Die meisten von ihnen unterschieden sich nicht wesentlich von den Umstehenden, doch manchmal fielen ihr sehr dunkle Augen und buschige Brauen auf. Die Neuankömmlinge trugen Kisten mit eisernen Schlössern und Marie ahnte, dass Richard weitere Geschenke überreicht werden sollten. Gewissenhaft wich sie aus, bis ganz plötzlich ein Schubser von hinten sie in
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