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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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die Arme eines der großzügigen Besucher trieb.

    »Meir ben David!«, rief Marie fassungslos, als sie den Mann erkannte. Seine Schläfenlocken waren inzwischen von grauen Fäden durchzogen.
    Er lachte erfreut auf und schüttelte sie leicht.
    »Ma Dame Marie! Ich kann es kaum glauben.«
    Marie überlegte, dass Meirs Anwesenheit in London noch weitaus überraschender war als die ihre.
    »Wir sind gekommen, um dem neuen König unsere Unterstützung und Treue als seine Untergebenen zu zeigen«, beantwortete er eine unausgesprochene Frage. »Wir hoffen auf eine ebenso gute Beziehung zu ihm wie zu seinem Vater.«
    Marie nickte, auch wenn sie die vage Ahnung überkam, dass es noch einen anderen Grund für Meirs Auftauchen geben konnte. Einmal, vor vielen Jahren, hatte er versprochen, zu der Krönung seines Geliebten zu kommen. Trotz des milden Herbstwetters fröstelte sie nun leicht und verspürte plötzlich den Drang, Meir an seinem Vorhaben zu hindern, doch er ließ ihr keine Gelegenheit dazu.
    »Sieh, wer hier ist!«, rief er auch schon einer weiteren Kapuzengestalt zu. Die klare, kühle Intelligenz in den braunen Augen kam Marie seltsam vertraut vor, doch etwas stimmte hier nicht.
    »Ihr seid die Dichterin, die einmal bei uns war! Die Dame Marie«, stellte der vertraute Fremdling mit einer hellen, eindeutig weiblichen Stimme fest. Maries Lippen formten fassungslos einen Namen: Jamila. Doch Meirs Schwester war wie ein Mann gekleidet. Noch bevor Marie ihr Staunen darüber in Worte fassen konnte, redete Jamila munter weiter.
    »Nun erzählt mir schnell, wie es Euch in der Zwischenzeit ergangen ist.«
    »Ich habe meinen Ritter geheiratet«, berichtete Marie das wichtigste Ereignis der vergangenen Jahre. Jamilas Augenbrauen zuckten nach oben.

    »Als ich das letzte Mal von Euch hörte, da wart Ihr Nonne. Ich habe Eure Fabeln erworben. Und auch die … die anderen Texte.«
    Marie schnappte nach Luft.
    »Meine christlichen Heiligenlegenden?«
    Jamila lachte leise.
    »Mein Gemahl weiß natürlich nicht, dass ich so etwas lese. Aber ich wollte mir keines Eurer Werke entgehen lassen.«
    »Ihr seid also auch vermählt«, stellte Marie fest.
    »Ja, seit dreizehn Jahren. Mein Gemahl erfreut sich bester Gesundheit, macht Euch keine Sorgen. Aber jetzt müssen wir los. Ich habe mich in diese seltsame Verkleidung gezwängt, um Meirs großen König sehen zu können. Frauen sind heute in seiner Nähe angeblich nicht erlaubt.«
    Marie musterte nochmals Jamilas Gestalt, die in Hosenbeinen steckte. Der freche Wagemut dieser Frau verstärkte ihre Freude über das unerwartete Wiedersehen, weckte das Verlangen nach einer längeren Unterhaltung, doch dafür war hier nicht der richtige Ort.
    »Ich wohne in einer Herberge gleich neben der alten Burg Bermondsey. Zum goldenen Löwen. Kommt mich besuchen, wenn die Feier vorbei ist«, bot sie daher zum Abschied an. Fast schon hatte die Menge Jamila und ihren Bruder verschluckt, als Marie ein Umstand einfiel, den sie in der Aufregung über das Wiedersehen nicht beachtet hatte.
    Es waren keine Frauen im Festsaal erlaubt. Und auch keine Juden.
    »Meir«, rief sie den beiden hinterher. »Richard ist nicht mehr so wie damals!«
    Doch ihre Worte verhallten unbeachtet in der Masse aus menschlichen Körpern. Sie schüttelte eine unangenehme Vorahnung ab, zog wieder die Kinder an sich.
    »Jetzt gehen wir in die Herberge!«

    »Mutter, da ruft jemand nach dir«, hielt Amélie sie zurück.
    Da hörte auch sie selbst eine laute Männerstimme.
    »Marie de Veizis! Ich suche die Dame Marie de Veizis!«
    Verwirrt wandte Marie sich um. Sie erblickte einen Herold in bunter Kleidung, der sich mit sichtlichem Widerwillen unter die Zuschauer mischte.
    »Marie de Veizis!«, wiederholte er lustlos.
    Sie kam auf ihn zu, obwohl sie nicht begriff, was dieser herausgeputzte Höfling von ihr wollte.
    »Das bin ich.«
    Ihr schlichtes Gewand wurde einer prüfenden Musterung unterzogen. Braune Augen unter müden Lidern leuchteten kurz auf, da eine unerfreuliche Aufgabe erledigt schien.
    »Die Gemahlin des Prinzen Davydd ap Owein wünscht Euch zu sehen, Madam.«
    Maries Herzschlag beschleunigte sich ein wenig. Diese Reise nach London war wie eine Rückkehr in ihre Vergangenheit.
    »Kommt!«, rief sie den Kindern zu. »Ihr werdet eure Großtante kennenlernen.«
     
    Emma erwartete sie in einem kleinen Gemach des Palastes. Sie war deutlich fülliger geworden. Schleier und Gebände verbargen ihr Haar, das vermutlich nicht mehr so
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