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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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über herumliegende Bretter. Es roch nach Feuer, und sie glaubte nicht mehr,
dass es ein Freudenfeuer war, doch zum Glück erblickte sie nirgendwo um sich Flammen. Immer weiter raste sie, um einem unsichtbaren Unheil zu entkommen, bis das rettende Bild des goldenen Löwen vor ihr auftauchte. Marie stürmte in die Herberge, umarmte erleichtert ihre Kinder. Ganz gleich, wie viele Boten eintreffen mochten, sie würde dieses Haus heute nicht mehr verlassen.
    »Da seid Ihr ja, Madam. Euer junger Bruder wartet schon auf Euch«, erklärte die Wirtin missmutig. Marie starrte sie verwirrt an. Nach all der Aufregung war sie nicht in Stimmung, der Wirtin zu erklären, dass sie niemals einen Bruder besessen hatte. Vielleicht war es Jean, der wartete. Die Wirtin schien fast immer angetrunken und hatte womöglich etwas durcheinandergebracht.
    »Was ist da draußen los?«, rief Marie in die Stube hinein, wo vereinzelte Gestalten über Bierkrügen hockten.
    »Keine Ahnung. Ist mir auch gleich, solange niemand mein Haus bedroht. Aber jeder neue Gast kostet zwei Pennys mehr, Madam«, knurrte die Wirtin. Marie nickte und stieg die Stufen hoch.
    »Sie kriegen, was sie verdienen. Endlich kriegen sie, was sie verdienen«, hörte sie Gemurmel in ihrem Rücken, doch fehlte ihr auf einmal jegliche Energie, um weiter nachzufragen. Erleichtert schob sie die Kinder durch die Tür und atmete tief durch, als diese endlich hinter ihr zufiel.
    Aber sie war nicht allein in diesem Zimmer. In der Ecke kauerte eine Gestalt auf einem Schemel. Sie hatte eine Kapuze tief in die Stirn gezogen, umklammerte mit beiden Armen ihre Knie, die in ledernen Beinkleidern steckten. Marie erstarrte. Das war nicht Jean. Dieser Mensch war zu klein und schmächtig.
    »Wer seid Ihr?«, fragte sie verstört. Die Gestalt fuhr zusammen, als habe sie Angst vor Schlägen. Ein bleiches, verängstigtes
Gesicht tauchte unter der Kapuze auf. In den braunen Augen lag ein stummer Hilfeschrei.
    »Jamila«, murmelte Marie fassungslos. David ben Jehudas Tochter sah viel älter aus als bei ihrer letzten Begegnung, als hätten wenige Stunden sie in eine verängstigte, vom Leben ausgezehrte Frau verwandelt.
    »Bitte sprecht nicht so laut, Ma Dame Marie«, flüsterte sie. »Nennt nicht meinen Namen.«
    Marie trat einen Schritt vor.
    »Was ist denn geschehen? Warum habt Ihr Euch als mein Bruder ausgegeben?«
    Nun kam endlich etwas Leben in die erschöpfte Gestalt. Jamila richtete sich auf und straffte die Schultern.
    »Ihr seid mit der königlichen Familie verwandt. Euer Gemahl ist ein Ritter. Ich dachte, wenn man mich für Euren Bruder hält, bin ich in Sicherheit«, erklärte sie mit der gewohnten Sachlichkeit, die für Marie im Augenblick allerdings keinen Sinn ergab.
    »Ihr habt sehr hübsche Kinder, Ma Dame«, fuhr Jamila nun fort. »Lasst sie doch endlich los, denn sie ersticken fast in Eurer Umarmung, und setzt Euch, damit wir reden können.«
    Ein winziger Funken des gewohnten Spotts blitzte in ihren Augen auf, was Marie ein wenig beruhigte.
    »Als wir in den Festsaal traten, da warf der neue König einen Blick auf meinen Bruder und erstarrte geradezu«, begann Jamila zu erzählen. »Meir schien darüber erfreut. Er trat vor, um unsere Geschenke zu überbringen. Aber plötzlich sprang Richard auf und schrie, die Kreatur Satans solle augenblicklich verschwinden. Ich begriff, dass wir besser gehen sollten, aber mein Bruder hörte nicht auf mein Drängen. Er ging immer weiter auf den König zu, als hielte er das alles für ein Missverständnis. Da fielen einige der Ritter plötzlich über uns her.«

    Sie verstummte. Ein Krampf schüttelte ihren Körper, und sie verbarg das Gesicht in ihren Händen. Eine Weile schien sie unfähig zu sprechen.
    »Meir ist tot«, sagte sie schließlich, als sie ihre Fassung mühsam zurückgewonnen hatte. »Auch mein Gemahl. Und viele andere, die mit uns kamen. Ich konnte entkommen, lief einfach nur nach London. Aber nicht nur ich bin in diese Richtung gerannt. Man brennt die Häuser der Juden in London nieder, erschlägt sie auf offener Straße. Ich erinnerte mich an den Namen Eurer Herberge und suchte hier Zuflucht.«
    Jamila legte die Hände auf ihre Knie und streckte die Arme, als wolle sie sich in eine aufrechte Haltung zwingen, um so aller Verzweiflung zu trotzen. Marie ballte die Hände zu Fäusten und presste sie gegen ihre Wangen. Das also war der Aufruhr gewesen. Gedanken rasten wirr durch ihren Kopf.
    »Wollte Richard wirklich, dass dein Bruder
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