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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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zeitgenössischen Texten wird manchmal über die Mode geklagt, sich unsterblich zu verlieben und deshalb wehleidig zu schmachten. Ob allein die Literatur dafür verantwortlich war, sei dahingestellt.
    Entgegen weit verbreiteten Vorstellungen war die fin amor kein starres Schema von der unerreichbaren Dame und dem sie platonisch anschmachtenden Ritter, sondern wurde von jedem Autor individuell gestaltet. Maries Lais zeigen eine sehr »weibliche« Perspektive: Frauen, oft in unglücklichen Ehen gefangen, verzehren sich nach Liebe. Wenn der erträumte Ritter endlich auftaucht, dann ergreifen sie nicht selten selbst die Initiative, anstatt ihn stets abzuweisen und leiden zu lassen. Dass diese Beziehungen auch sexueller Natur sind, wird zwar nicht im Detail beschrieben, aber unmissverständlich angedeutet. Maries Damen sind keine gottgleichen Wesen, sondern Individuen mit Sehnsüchten und Schwächen. Manchmal begehen sie sogar Verbrechen und müssen dafür büßen. Das verleiht den Geschichten eine erstaunliche Lebendigkeit. Marie kombiniert eine Darstellung der damaligen höfischen Welt mit fantastischen Elementen keltischen Ursprungs, die ein Zusammenkommen von Dame und Ritter möglich machen.

    Aber wer war diese begabte Autorin? Die Antwort ist einfach: Man weiß es nicht. Sie erwähnt in ihren Texten nur den Namen Marie und meint, sie stamme aus »France«. Damit war vermutlich nicht das ganze Gebiet des heutigen Frankreich gemeint, sondern die Gegend um die Ile de France, die unmittelbar vom französischen König regiert wurde und nicht von einem seiner zahlreichen Vasallen. Man geht davon aus, dass die Autorin sich nicht mehr an ihrem Heimatort befand, als sie schrieb, denn sonst hätte sie wohl nicht erwähnt, woher sie eigentlich stammte. Die Lais sind einem edlen König gewidmet. Die Fabeln einem Herzog namens Guillaume. Da an Machthabern dieses Namens im Mittelalter kein Mangel herrscht, half das nicht unbedingt, um Marie zeitlich und regional einzuordnen. Die ältesten erhaltenen Abschriften ihrer Texte stammen aus dem 13. Jahrhundert, daher ging man zunächst davon aus, dass sie auch in dieser Zeit lebte. Es ist dem Neider Denis Piramus zu verdanken, dass dieser Fehler korrigiert werden konnte. Er erwähnt in seiner Heiligenlegende La Vie Seint Edmund le Roi die Dame Marie, deren Lais in höfischen Kreisen sehr beliebt sind, auch wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen und vor allem den Gelüsten der Damen schmeicheln. Auch über Denis Piramus ist fast nichts bekannt, aber man weiß, wann er ungefähr lebte. Marie wurde also ins 12. Jahrhundert zurückversetzt.
    Es gab einige Versuche, die Dichterin als historisch dokumentierte Frau namens Marie zu identifizieren. So soll sie zum Beispiel die Äbtissin des Klosters von Edwardstowe, dem heutigen Shaftesbury, gewesen sein, jene uneheliche Halbschwester des englischen Königs, die auch in meinem Roman auftritt. Doch all das sind nur Vermutungen. Überzeugende Beweise fehlen. Ich habe mir daher die Freiheit genommen, meine eigene Marie zu erfinden. Ihre Geschichte
ist reine Fiktion und wurde weitgehend von den Lais inspiriert. Den Anspruch, das Rätsel um die Identität der anonymen Autorin gelöst zu haben, stelle ich natürlich nicht.
    Nun zum historischen Hintergrund: Es treten zahlreiche Personen auf, die zwar in Chroniken namentlich erwähnt werden, doch von deren Charakter und Biografie sehr wenig bekannt ist. Dazu gehören neben Denis Piramus auch Emma d’Anjou und Isabelle de Vermandois. Emma wird von einigen Chronisten als sehr attraktiv beschrieben. Sie wurde von Henri 1173 mit dem walisischen Prinzen Davydd ap Owein verheiratet. Isabelle war die Tochter von Aliénors Schwester Petronilla und dem Grafen Raoul de Vermandois. Sie wurde zur Gemahlin Philipps von Flandern und soll ihm untreu gewesen sein, weshalb er ihren Liebhaber in einer Jauchegrube ertränkte. Sie starb angeblich 1183. Ihre Mutter Petronilla, eigentlich Alix Petronilla, in manchen Quellen auch Aelith genannt, begleitete Aliénor nach Frankreich und später nach England. Danach verschwindet sie aus den Quellen. Ich konnte keine eindeutigen Angaben finden, was schließlich aus ihr wurde.
    Der Kapellan André verfasste unter dem Namen Andreas Kapellanus die sehr bekannte und etwas rätselhafte Schrift: De amore libri tres, eine Abhandlung über die höfische Liebe. Sie soll etwa 1180 am Hof des französischen Königs Philippe Auguste entstanden sein. Darin werden Aliénor, Marie de
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