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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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Des Teufels General mit Curd Jürgens endgültig zum Maßstab der Einschätzung des deutschen Mannes auf der Anklagebank der Nachkriegs- Wochenschau werden ließ. So konnten die Deutschen ihren Emigranten wieder annehmen und er sie offensichtlich auch. Geschiedene, die miteinander flirteten. Ein Schriftstellerschicksal: Der Autor gehört einem Volk an, und dieses ist sein Publikum.
    Karl May hatte es einfacher. Seine Zeit war frei von Krieg, aber auch von der größeren Gelegenheit zum Abenteuer. Man konnte sich ins Zeug werfen und Waren herstellen, schneller und günstiger als die Briten, und deren Zorn damit auf sich ziehen, so dass man die Auflage bekam, die deutschen Waren für den britischen Käufer kenntlich zu machen und zu diesem Zweck mit einem warnenden Aufdruck zu versehen: Made in Germany.
    Die Welt aber war noch weitläufig genug, um Träume in ihr versenken zu können. Im langweiligen Dresden folgte Mays Imagination den beiden großen Traumrouten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Hamburg-Amerika-Linie der vom Vaterland enttäuschten Auswanderer und den wilhelminischen Pfaden in den Orient, die die Kolonialstrategie von Briten und Franzosen in Frage stellen sollten.
    Das Motiv seiner in Amerika spielenden Romangeschichten ist die Erschließung des Wilden Westens. Der erste Winnetou-Roman kreist um die Vermessung und den Bau einer Eisenbahnlinie, damals eine höchst zeitgemäße Sache. Über die Rolle von Winnetou, dem Indianerhäuptling, in den Romanen ist viel spekuliert worden. Da der Erzähler in den May-Werken stets ein Alter Ego des Schriftstellers ist, wie Old Shatterhand, und Winnetou von diesem als Idealgestalt entworfen wurde, wäre festzustellen, dass es zunächst einmal um eine ethisch gesteuerte Zivilisierung des Wilden Westens geht, kurz, um einen deutschen Ordnungsgedanken der Gefügigmachung von Land und Leuten. Winnetou aber, der Häuptling der Apachen, ist nicht der Gegner, der er in der Realität wäre, sondern die Projektion des deutschen Mannes als freier Mann. Der deutsche Mann, der im Kaiserreich trotz Bürgerrechten als Untertan gilt. Auch er hätte gern die »Silberbüchse« und würde für Gerechtigkeit und Frieden sorgen und damit zum Helden avancieren. Zumindest im heimischen Schützenverein. Da ihm die unheroische Zeit das nicht erlaubt, vertieft er sich in die Imagination des Herrn May aus Dresden, folgt dessen Winnetou ins Reich der guten Taten. Winnetou wird zum Valium des Wilhelminismus. Man war Blutsbruder und rauchte abends am Lagerfeuer die Friedenspfeife. Was kann einem da noch passieren?
    Als Zuckmayer seine Tochter 1926 Winnetou nannte, hatte dieser Deutschland längst erobert. Die Deutschen waren jetzt wie die Indianer, denen man das Ruhrgebiet weggenommen hat.
    Sind Zuckmayer und May Brüder im Geiste, und wenn ja, was hat das mit Winnetou zu tun? Beide sind spät nach Amerika gekommen, und alles, was sie über Amerika gedacht haben, haben sie gedacht, ohne in Amerika gewesen zu sein. Die Frage, ob Karl May jemals an seinem Winnetou gezweifelt habe, ist in etwa so aufschlussreich wie jene an Zuckmayer, ob er es bereut hätte, seiner Tochter diesen Namen gegeben zu haben.
    Winnetou ist eine der populärsten Figuren der deutschen Kulturgeschichte. Noch immer gehören die Karl-May-Freilichtspiele in Bad Segeberg zu den bekanntesten Aufführungen dieser Art in Deutschland. Man kann Winnetou als edlen Wilden betrachten, aber auch als Deutschen. Arminius, unser Hermann, hätte gesagt: ein edler deutscher Wilder. Ein Germane.
    Der französische Schauspieler Pierre Brice als Winnetou in dem Film Der Ölscheich von 1965. Der See, vor dem er steht, liegt in Kroatien. Die Karl-May-Verfilmungen gehörten zu den deutschen Kino-Ereignissen der sechziger Jahre.
    Damit war das Empire auch anthropologisch entlarvt, der angelsächsische Zivilisationsbegriff ein weiteres Mal zur Disposition gestellt, und das Kaiserreich schon wieder im Recht. Der Wilhelminismus tat so, als sei man soeben auf dem Platz zusammengetreten, um sich darüber zu beraten, ob Bonifatius, der Missionar, das Dorf betreten dürfe.
    Dieses Abheben aber, dieses Abgehobensein, hat kein Geringerer als Franz Kafka mit seinem 1913 publizierten Wunsch, Indianer zu werden deutlich gemacht. Kafka schreibt: »Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis
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