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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.«
     
    >Freikörperkultur, Gründerzeit, Kitsch, Sehnsucht, Spiessbürger

Wurst
     
    Normalerweise geht es um die Wurst. Um die restlose Verwertung oder gar um die Verwurstung. Eintausendfünfhundert Wurstsorten hat Deutschland zu bieten. Wir begnügen uns mit einem Wurstalphabet: Bierwurst, Currywurst, Dauerwurst, Frankfurter, Gänseleberwurst, Hauswurst, Jägerwurst, Knackwurst, Landjäger, Mettwurst, Nürnberger, Rostbratwurst, Sülzwurst, Teewurst, Weißwurst, Zungenwurst.
    Was aber wäre die Wurst ohne die Wurstbude? Es gibt keine Stadt, die nicht eine beste Wurstbude hätte. In Köln ist es angeblich die Wurstbraterei. Dort, so der Einheimischen-Tipp, treffe man regelmäßig auf die beiden WDR- Tatort -Kommissare.
    In Berlin fällt die Bestenrolle, wie die Lokalpresse zu berichten weiß, Konnopke’s Imbiß zu. Konnopke liegt am U-Bahnhof Eberswalder Straße, also im ehemaligen Osten. Im Ostteil der Stadt, wie der Berliner zu betonen pflegt. Der Westberliner.
    Konnopke hat alles überlebt, sogar die DDR, seither aber kommt der Kiosk nicht mehr zur Ruhe. Mal ist es die Verkehrssituation, mal sind’s die Bauarbeiten, die seinen Standort und damit seine Existenz in Frage stellen. Berlin ist Hauptstadt. Ganz Berlin.
    Für Konnopke aber wurde gekämpft, und so hat man sich mit Bahn und Behörde schließlich darauf geeinigt, dass er einige Meter weiter, am Gehsteig, einen Dauerstandplatz erhalten wird. Konnopke ist gerettet, der Kiez jubelt. Die Lokalpresse schreibt Geschichte.
    An der Wurstbude kommt man schnell ins Gespräch, und das nicht nur mit der freundlichen Bedienung. An der Wurstbude braucht man nicht einmal den Hund, um jemanden kennenzulernen. Man könnte natürlich auch die Kommissare auf ihren neuesten Film ansprechen, aber das gehört sich nicht. Die beiden wollen auch mal ihre Ruhe haben, und die haben sie sich redlich verdient.
    Benimm dich, Volk! Man kann die Wurst zwischen die Finger schieben, falls es sich nicht um eine Currywurst handelt, aber höflich sollte man schon bleiben. Die Wurstbude kennt zwar keine Autoritäten, dafür aber die Respektsperson. Der Wurstbudeninhaber hat, wenn er die nächste Bestellung bringt, ganz selbstverständlich den Gestus eines Restaurantbetreibers. Er ist hier eine Respektsperson. Wie jener zeigt er auf seine Ware und sagt: Qualitätsproduktion durch starke Markenpartner, um, nachdem er seinen Pullover glatt gestrichen hat, hinzuzufügen: Sauberkeit ist das oberste Gebot.
    Man blickt sofort auf den Pappteller, den man vor sich hat, um noch schnell mit der Papierserviette den Ketchup, der auf den Stehtisch getropft ist, zu entfernen. So kann man dem Wurstbudeninhaber wieder ins Auge blicken, und dieser sagt »Schmeckt’s?« und ist schon wieder unterwegs. Er betreibt ja nicht nur den einen Kiosk. Von einem einzelnen Kiosk könnte er gar nicht leben, wie er sagt. Sechzig Kilogramm an Wurst soll der Durchschnittsdeutsche im Jahr verzehren, damit man davon leben kann. Was aber ist unter diesen Umständen ein Durchschnittsdeutscher?
    Wo eine Wurstbude aufmacht, wird sie schnell zum Mittelpunkt des alltäglichen Treibens. Sie ist auf ihre Weise deutsche Mitte. Hier verträgt man sich. Hier ist man willkommen. Solange man nicht laut wird oder gar mit der Weltlage kommt. Das verdirbt nur die Stimmung und schadet dem Geschäft.
    Die Wurstbude hat das, was man eine ausgeprägte Identität nennt. Es ist zwar alles möglich, aber einen Hamburger oder gar einen Döner bestellen zu wollen, wäre blasphemisch. Und der Fall kommt in der Realität auch kaum vor.
    Die Kunden stehen, wenn sie allein sind und dazu nichts weiter sagen wollen, auch dieser Fall ist vorgesehen, beim Essen mit dem Rücken zur Bude. Sind sie zu zweit und haben schon alles erlebt, auch das wird vorkommen, stellen sie sich nebeneinander parallel zur Bude auf. Auch sie schweigen, denn mit der Bedienung spricht man nur, solange der Tausch von Geld und Wurst stattfindet, und untereinander hat man sich auch ziemlich schnell alles gesagt. Man kennt sich ja nicht erst seit gestern. Die Wurst macht treu. An manchen Tagen sollte das genügen. Es herrscht Regenwetter, und die Musik aus dem Radio ist reine Melancholie.
    An solchen Tagen denkt man an den Äquator oder an den Weißwurst-Äquator, und es ist egal. Wurscht.
    Die Weißwurst, sagt jemand, und es klingt wie
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