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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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gab es vor der Marktwirtschaft. Den Markt und den Marktflecken.
    Man kauft vielleicht Lebkuchenherzen und Christstollen oder einen Christbaumständer oder hat auch nur die Idee, demnächst einen anzuschaffen. Weihnachten, das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit, wie die einschlägigen Werbeprospekte betonen, ist dialektisch mit der Marktwirtschaft verbunden. Wer für das Weihnachtsfest was Besonderes plant, kann sich beispielsweise den eigenen Weihnachtsbaumständer ganz individuell fertigen lassen. Mit dem neuen Christbaumständer steht in diesem Jahr der Weihnachtsbaum schnell, fest und sicher. Die Preisspanne reicht von 24,95 bis 9999 Euro. Letzteres bedeutet: Handgearbeiteter Edelstahl und mit 9000 Kristallen verziert. Der Maybach unter den Christbaumständern. Wer hätte ihn nicht gern zu Hause stehen?
    Glühwein? Bratwurst? Die kalte Luft ist eine Kandisluft, und aus den Lautsprechern tönt die Musik. Jingle Bells und Stille Nacht und Leise rieselt der Schnee. Menschen laufen im Kreis herum, ganze Familien. Als hätten sie angesichts der Musik, oder aus sonst einem Grund und ohne jeden Anlass plötzlich die Orientierung verloren. So weit das Auge reicht, ist nichts zu sehen als der allgemeine Budenzauber. Dresdner Stollen, ruft jemand, und Hände zeigen uns den Tisch. Als wär’s ein Tisch der Gaben. Ursprünglich galt der Dresdner Stollen als sinnbildliche Darstellung eines in weiße Windeln gewickelten Christkind-Striezels. So wurde das traditionsreiche Gebäck, welches dem Dresdner Striezelmarkt den Namen gab, erstmals 1474 in der Stadtchronik erwähnt.
    Nach kirchlichem Dogma durfte der Dresdner Christstollen damals nur aus Mehl, Hefe und Wasser hergestellt werden. Da aber ein Stollen ohne Butter und Milch ein fades Gebäck war, wandten sich Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Albrecht mit der Bitte, das Butterverbot aufzuheben, an den Papst. Die Antwort ist als »Butterbrief« in die Geschichte eingegangen. Von nun an durften auch Butter und Milch beim Stollenbacken Verwendung finden. Von den Mythen bleiben die Bräuche, und von den Bräuchen die Rezepte. Ab 1560 bekam das Sächsische Königshaus jedes Jahr einen Riesenstollen von den Dresdner Bäckern, 1730 übertraf Kurfürst August der Starke alle bis dato aufgestellten Rekorde. Er ließ einen Riesenstollen von 1,8 Tonnen für rund 24000 Gäste backen.
    Ach, Advent. Es kommt ein Schiff geladen / Bis an sein höchsten Bord. / Das Schiff geht still im Triebe / es trägt ein teure Last.
    Der Weihnachtsmarkt ist ein wahres Labyrinth, sage ich mir. Die Leute drehen sich um und um, und weiter im Kreis. Eigentlich wollten sie ja zum Schilaufen in die Schweiz, nun sind sie aber doch hier geblieben. Daheim ist daheim, und an Weihnachten ist es daheim am schönsten. In Gedanken sieht man für einen Augenblick die Flamme im Kamin, und schon hört man seinen Namen rufen, denn die anderen sind schon ein paar Buden weiter, der Rest der Familie, aber was für eine Stimme war das, die gerade meinen Namen rief? War es nicht doch eine Stimme aus der Kindheit, eine verschwundene, eine verwunschene?
     
    >Bruder Baum, Gemütlichkeit, Kirchensteuer, Wurst

Wiedergutmachung
     
    Der Erfinder der Wiedergutmachung ist weder der Evangelische Kirchentag noch die Ostermarschbewegung, sondern Konrad Adenauer. Nicht die Betroffenheitsboten aller Seiten waren es, die Israel unterstützt haben, sondern der von den sprachgewaltigen Dichtern und Denkern viel geschmähte »Alte vom Rhein«. Er hat weder aus Sentimentalität noch aus Heuchelei gehandelt. Adenauer, einer der wenigen, die nach 1945 keinen »Persilschein« nötig hatten, verstand es, die Interessen Israels und Deutschlands zusammenzubringen, und das zu einem Zeitpunkt, als alles, was damit zu tun hatte, praktisch undenkbar war.
    Im »Luxemburger Abkommen« vom 10. September 1952 geht es um die Übereinkunft, Eingliederungskosten in Höhe von drei Milliarden D-Mark in Warenlieferungen und Dienstleistungen innerhalb von 14 Jahren an Israel zu bezahlen, und darüber hinaus um die Absichtserklärung der Bundesregierung, ein Gesetzgebungsverfahren zur Rückerstattung von Vermögen und zur individuellen Entschädigung der von den Nazis Verfolgten zu beginnen. Außerdem verpflichtete sich die deutsche Seite, eine weitere Summe an die Hilfsorganisationen zu zahlen, die die überlebenden Opfer des »Dritten Reichs« betreuten.
    In Israel war der Schritt zur direkten Verantwortung Deutschlands damals wenig populär. Israel
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