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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht
Autoren: Patricia Cornwell
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im Scheinwerferlicht hinter einem dicken, tropfnassen Baum, als sich die Eingangstür der Villa öffnet. Etwa fünfzehn Meter links von der Vortreppe geht er in die Hocke, sodass er nicht mehr zu sehen ist.
    Bundesstaatsanwalt Weldon Winn kommt aus dem Haus. Seine Stimme ist so dröhnend wie immer; seit ihrer letzten Begegnung hat er ordentlich zugenommen. Da Benton damit rechnet, dass Winn gleich in sein teures Auto steigen wird, muss er sich rasch etwas einfallen lassen. Weldon Winns Anwesenheit gehört zwar nicht zum Plan, ist aber eindeutig ein Vorteil und ein klarer Hinweis darauf, dass Jean-Baptiste im Stützpunkt seiner Familie in Baton Rouge Zuflucht gesucht hat oder dies zumindest beabsichtigt. Die Villa ist Mittelpunkt eines unglaublichen Korruptionsnetzwerks, das schon seit Jahrzehnten ungestört operiert, da alle, die davon wissen, entweder absolut loyal oder tot sind.
    Benton, zum Beispiel, ist tot.
    Er beobachtet, wie der betrügerische Bundesstaatsanwalt von Baton Rouge einen mit Backsteinen gepflasterten Pfad zu einem alten Steingebäude mit einer dunklen Spitzbogentür entlanggeht, die zum Weinkeller führt. Die jahrhundertealte cave besteht aus einem von Sklaven gegrabenen Tunnel, der fast einen dreiviertel Kilometer lang ist. Winn schließt auf, tritt ein und zieht die Tür hinter sich zu. Benton, inzwischen völlig durchnässt, schleicht geduckt weiter, geht hinter einer Buchsbaumhecke in Deckung und blickt immer wieder zwischen Weinkeller und Haus hin und her. Nun kommt der riskanteste
    Schritt. Den Rücken zum Haus, richtet er sich auf und schlendert lässig los.
    Jemand, der aus dem Fenster schaut, könnte den Mann in Schwarz auch für einen Freund der Familie Chandonne halten. Die Tür besteht aus dickem Eichenholz. Die Stimmen dahinter sind kaum zu hören.

120
    Scarpetta kann den kleinen Albert Dard nicht vergessen. Sie malt sich die Narben an seinem Körper aus, wohl wissend, dass es sich bei Selbstverstümmelung um eine Sucht handelt. Wenn er sich weiter selbst verletzt, wird er immer wieder in psychiatrischen Kliniken landen, bis er ebenso psychisch krank ist wie die Patienten, deren Diagnose eine Einweisung rechtfertigt.
    Albert hingegen braucht keinen Klinikaufenthalt, sondern Hilfe. Jemand muss zumindest den Versuch unternehmen, herauszufinden, warum seine Angst vor einem Jahr so stark wurde, dass er sich verschlossen und seine Emotionen und Erinnerungen gewaltsam unterdrückt hat; nach einer Weile konnten ihm dann nur noch selbst zugefügte Schmerzen ein Gefühl der Kontrolle, eine vorübergehende Erleichterung und eine Bestätigung der eigenen Existenz verschaffen. Scarpetta erinnert sich an die fast gleichgültige Haltung des Jungen, als dieser im Flugzeug mit seinen Karten mit den gewalttätigen Abbildungen gespielt hat. Als Nächstes denkt sie an seine bestürzte Reaktion bei der Vorstellung, niemand könnte ihn abholen, und sie vermutet, dass es für ihn nichts Neues ist, im Stich gelassen zu werden.
    Je länger sie darüber nachgrübelt, desto mehr wachsen ihre Wut auf die Menschen, die sich eigentlich um den Jungen kümmern müssten, und ihre Angst um seine Sicherheit.
    Während sie in Dr. Laniers Gästehaus Kaffee trinkt, wühlt sie in ihrer Handtasche nach der Telefonnummer, die sie aufgeschrieben hat, während Albert auf seine Tante wartete. Die Frau hatte nicht die geringste Absicht, ihn abzuholen. Statt- dessen hat sie alles so eingerichtet, dass Scarpetta gar nichts anderes übrig blieb, als ihn nach Hause zu fahren. Im Grunde genommen interessiert es Scarpetta herzlich wenig, welche Spielchen und Verschwörungsabsichten hinter Mrs. Guidons Verhalten stecken. Vielleicht wollte sie sie ja nur in ihr Haus locken, um festzustellen, was sie über Charlotte Dards Tod weiß. Und nun hat Mrs. Guidon sich zu ihrer Zufriedenheit davon überzeugen können, dass Scarpetta auch nicht besser über diesen Todesfall informiert ist als der Rest der Welt. Sie wählt die Nummer und ist erleichtert, als Albert sich meldet.
    »Hier spricht die Dame, die neben dir im Flugzeug gesessen hat«, sagt sie.
    »Hallo«, begrüßt er sie überrascht und scheint sich sehr zu freuen. »Wie kommt es, dass Sie anrufen? Meine Tante hat gesagt, das würden Sie niemals tun.«
    »Wo ist sie?«
    »Keine Ahnung. Sie ist rausgegangen.«
    »Ist sie mit dem Auto weggefahren?«
    »Nein.«
    »Ich habe über dich nachgedacht, Albert«, meint Scarpetta. »Ich bin noch in der Stadt, aber ich muss bald abreisen. Also
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