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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht
Autoren: Patricia Cornwell
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Glaskuppel auf, als Scarpetta das Röhrchen hochhält. »Wer kann mir sagen, in welcher Häutungsphase Maddie ist? In welchem Lebensstadium befand sie sich, als jemand« - wieder lässt sie den Blick über die Gesichter am Tisch schweifen, bis er erneut an Nic hängen bleibt - »sie in dieses Fläschchen mit Äthanol steckte? Übrigens vermute ich, dass Maddie Flüssigkeit eingeatmet hat und ertrunken ist. Maden brauchen ebenso Luft wie wir.«
    »Welches Arschloch ersäuft denn eine Made?«, höhnt einer der Polizisten.
    »Also wirklich. Stell dir vor, du müsstest Alkohol einatmen .«
    »Was redest du da, Joey? Das machst du doch schon den ganzen Abend.«
    Eine von bösartigen Sticheleien geprägte Stimmung braut sich zusammen wie ein Sturm in der Ferne, und Nic weiß nicht, wie sie sich dem entziehen soll. Also lehnt sie sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und bemüht sich, einen möglichst unbeteiligten Eindruck zu machen. Dabei fallen ihr unerwartet die abgedroschenen Verhaltensregeln ihres Vaters bei Gewitter ein: Also, Nic, wenn es blitzt, stell dich nicht allein irgendwo hin, und glaube bloß nicht, du wärst in Sicherheit, wenn du dich zwischen Bäumen versteckst. Such dir den nächstbesten Graben und duck dich so tief wie möglich hinein. Im Augenblick hat Nic keine andere Möglichkeit, als sich hinter ihrem Schweigen zu verschanzen.
    »Doc, wir haben die letzte Prüfung doch schon hinter uns.«
    »Wer hat denn zu unserer Party Hausaufgaben mitgebracht?«
    »Richtig, wir haben jetzt Feierabend.«
    »Feierabend, ich verstehe«, entgegnet Scarpetta nachdenklich. »Wenn Sie also Feierabend haben und die Leiche einer vermissten Person gefunden wird, würden Sie nicht reagieren. Meinen Sie das damit?«
    »Ich müsste warten, bis ich den Bourbon abgebaut habe«, erwidert ein Polizist, dessen rasierter Schädel glänzt wie gewachst.
    »Das ist ein Argument«, antwortet sie. Die Polizisten lachen, alle bis auf Nic.
    »Es kann passieren.« Scarpetta stellt das Röhrchen neben ihr Weinglas. »Jeden Moment kann ein Anruf kommen. Vielleicht entpuppt er sich als der schlimmste Einsatz in unserem Berufsleben, und trotzdem sind wir ein bisschen beschwipst von ein paar Drinks nach Feierabend, krank oder mitten in einem Streit mit unserem Lebenspartner, einem Freund oder einem unserer Kinder.«
    Sie schiebt das halb gegessene Tunfischfilet weg und verschränkt die Hände auf dem karierten Tischtuch.
    »Aber unsere Fälle warten nicht«, fügt sie hinzu.
    »Wirklich nicht? Kann man sich nicht manchmal auch Zeit lassen?«, fragt ein Detective aus Chicago, den seine Kommilitonen wegen eines auf den linken Unterarm tätowierten Ankers Popeye nennen. »Zum Beispiel, wenn Knochen in einem Brunnen liegen oder in einem Keller vergraben sind. Oder bei einer Leiche unter einer Betonplatte. Die verschwindet schließlich nicht einfach.«
    »Die Toten sind ungeduldig«, entgegnet Scarpetta.

2
    Die Nacht auf dem Bayou erinnert Jay Talley an eine Cajun-Band: Ochsenfrösche spielen Bass, Frösche zupfen jaulende Elektrogitarren, und die Zikaden und Grillen bearbeiten Waschbretter und singende Sägen.
    Er leuchtet mit der Taschenlampe einen Punkt dicht neben dem dunklen Stamm einer arthritisch gekrümmten alten Zypresse an. Die Augen eines Alligators blitzen auf und verschwinden im schwarzen Wasser. Die Moskitos mit ihrem Unheil verkündenden leisen Summen lassen den Lichtstrahl vibrieren, als das Bay-Stealth-Boot mit abgestelltem Außenbordmotor dahintreibt. Jay thront auf dem Kapitänssitz und betrachtet genüsslich die Frau im Fischtank dicht vor seinen Füßen. Als er sich vor ein paar Jahren nach einem Boot umgeschaut hat, hat ihm dieser Bay-Stealth am meisten zugesagt. Der im Deck eingelassene Fischtank ist geräumig genug für mindestens sechzig Kilo Eis und Fisch - oder für eine Frau mit dem Körperbau, auf den er steht.
    Ihre vor Angst weit aufgerissenen Augen schimmern in der Dunkelheit. Bei Tageslicht sind sie blau, wunderschön tiefblau. Sie kneift sie schmerzhaft zusammen, als Jay zärtlich den Strahl der Taschenlampe über sie gleiten lässt, vom erwachsenen, hübschen Gesicht bis hinunter zu den rot lackierten Zehennägeln. Sie ist blond, vermutlich zwischen Anfang und Mitte vierzig, sieht jedoch jünger aus und hat eine zierliche, aber wohl gerundete Figur. Der Fischtank aus Fiberglas ist mit orangefarbenen Bootskissen ausgepolstert, die schmutzig und voller alter Blutflecken sind. Rücksichtsvoll, ja sogar
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