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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen
Autoren: Liz Jensen
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uns gebracht.« Diese Bemerkung zeigte, dass ihn der Gesichtsverlust der Firma mehr plagte als die innere Verderbtheit des Unternehmens. Machte ihn das zu einem Traditionalisten? Ich machte mir eine gedankliche Notiz.
    »Haben Sie eine Ahnung, wer es sein könnte?«
    Er zuckte abrupt mit dem Kopf. »Das hat mich die Polizei auch schon gefragt. Und ich habe Ja gesagt. Aber sie haben nicht zugehört. Kommen Sie bitte. Ich zeige es Ihnen drinnen.«
    In einem Vorzimmer neben dem Eingang setzten wir Gesichtsmasken aus Spezialfasern auf und zogen Overalls an. Meiner war viel zu klein. Sunny Chen reichte mir einen Helm mit eingebautem Gehörschutz. Ich trage gerne etwas auf dem Kopf. Der Schädel ist dann so angenehm gegen die Welt gepolstert.
    »Da drinnen müssen wir schreien«, sagte er und winkte mich hinein.
    In der Welt der Pflanzen gibt es keinen wirklichen Tod. Unter den richtigen Bedingungen können Blumen eine Woche überleben, bestrahlte Erdbeeren einen Monat, Äpfel oder Zwiebeln ein Jahr. Technisch gesehen stirbt ein Baum, wenn man ihn fällt. Doch sein Aroma – von Rinde, Pflanzensaft, dicht gepressten Fasern – bleibt jahrzehntelang erhalten. Es ist ein Geruch, der mich auf die gleiche Weise anzieht wie manche Farben, vor allem Violett- und Grüntöne.
    In der Fabrik wurden frisch gefällte Stämme verarbeitet, weshalb der Geruch überwältigend war: kompakt und berauschend und vermischt mit Maschinenöl. Parallele Transportbänder beförderten die gewaltigen Stämme in mechanische Sägen, die sie so mühelos zerteilten wie ein Messer den Käse, bevor sie in ein weiteres Transportsystem fielen, das sie ganz ans Ende des Lagerhauses trug, wo sie nach Breite sortiert und mechanisch gestapelt wurden. Es war ein clever konstruiertes System, für das man nur ein Minimum an Arbeitskräften benötigte. Die fünfzehn Leute, die ich sah, hakten Checklisten ab, fegten Rinde und Sägemehl zusammen, steuerten Gabelstapler und rückten verrutschte Bretter auf den Bändern zurecht. Chen erklärte, das Verladen der Stämme und der Transport des geschnittenen Holzes fänden draußen statt. Trotz des dröhnenden Lärms war der Anblick des ganzen Prozesses so faszinierend wie alle Demonstrationen mechanischer Effizienz. Und selbst der Lärm hatte seine Vorteile: Er war regelmäßig und sinnvoll. Alles war mit einer feinen Schicht aus dunklem Holzstaub überzogen. Als ich in meinem bequemen Helm dastand, war ich zufrieden. Ich war Glück-Lok.
    »Bleistiftzeder«, rief Sunny Chen auf Englisch über den Lärm hinweg und deutete mit dem Finger. »Aus Indonesien. Da drüben sehen Sie malaysisches Kauriholz und Teak.«
    Er zeigte auf einen anderen Bereich der Halle, wo breite Bretter aus dunklerem Holz auf ein schmaleres Maß zurechtgeschnitten wurden, wie man es von Terrassendielen und Gartenmöbeln kennt. Der Verschnitt und die Sägespäne fielen auf ein Förderband, das sie in den Trichter der etwa vier Meter hohen Maschine vor uns transportierte. Sunny sagte etwas, das ich nicht verstand, und führte mich zur breiten Wartungsleiter. Als wir die oberste Sprosse erreichten, schwitzte ich und fühlte mich ein bisschen aufgekratzt von der Stimmung in der Halle. Wir spähten über den Metallrand, der sich wie eine Hängelippe nach unten bog, und tief hinein in das dunkle, wirbelnde Loch der Innereien.
    »Ein weiter Weg nach unten!«, rief Sunny Chen und deutete hinein. Wie in einer gigantischen Küchenmaschine, die alles fraß, womit man sie fütterte, wurde das Holz zu einem groben Brei zermahlen. »Die macht Hamburger aus Ihnen!« Sein Gesichtsausdruck war hinter der Maske verborgen. Ich kann menschliche Gefühle schlecht einschätzen, aber seine Augen schienen nicht zu lächeln. Das zermahlene Holz wurde in einem riesigen Container gesammelt. »Daraus stellen wir Spanplatten her«, brüllte er. »Auch das Sägemehl wird wiederverwendet, nichts wird verschwendet, alles wird recycelt.«
    Ich starrte in die rotierende Maschine. Wiederholte Bewegungen fesseln mich. Als Kind hätte ich stundenlang die Waschmaschine betrachten können.
    »Sie sagen, Sie wüssten, wer die Korruption aufgedeckt hat?«, brüllte ich, als wir hinuntergestiegen waren.
    Er antwortete nicht sofort. »Ich habe der Polizei etwas Wichtiges gezeigt, aber sie haben es nicht ernst genommen.« Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er setzte die Maske ab und wischte sich mit der Hand übers Gesicht, wobei er einenStreifen Holzstaub hinterließ. »Schmutzig hier
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