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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau
Autoren: Kim Smage
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feixt sich dabei selber eins. »Police Officer so and so.« Und »your friend«. Was für ein Angebot. Liebe Güte!
    Dann rennt sie durch die Tür und jagt die Treppen nach unten. Würde eigentlich am liebsten in den Fjord springen, sich kalt schwimmen. Aber sie ist zu feige, hat zu viel gefroren, braucht keine weiteren kalten Abreibungen. Also stapft sie nach Hause, streift die Schuhe ab, legt einen Blues auf. Und denkt: wann werde ich mir selbst erzählen, dass dieser Blueskram nur Flucht ist? Ein Deprikram, ohne den ich auch auskommen würde? Hab ich keine schwedische Schunkelmusik? Oder so was? Kommissarin Halvorsen schiebt eine knackende Kassette eine, eine Liveaufnahme der Ugly Hangovers. Der Kellerband von Kristian, ihrem kleinen Bruder von sechzehn. Sie dröhnen und schlagen zu. Bringen mit ihrem Protest die ganze Erwachsenenwelt um. Lassen die Sologitarre heulen, die Bassgitarre jammern und das Schlagzeug das eilig nahende Ende der Welt ankündigen. Was ihr noch mehr Depri verpasst als der blaueste Blues der Welt. Ist es so, sechzehn zu sein?
    Jung zu sein? Sie hatte das fast vergessen. Hatte es vergessen. Zeit für einen Auffrischungskurs, mein Mädel, denkt sie.
    Und mit voll aufgedrehter Lautstärke legt sie sich der Länge nach auf den Boden und versucht an die Zeit zu denken, ehe sie »straight« wurde. Ehe sie zu den Bullen ging. Versucht, alle Kontrollmechanismen auszuschalten, die sie sich seit damals zugelegt hat. Durch Ausbildung und Beruf. Versucht wieder zur Hinterhofkatze zu werden. Mitten in dieser Übung schläft sie ein. Schläft und träumt von Müll. Von stinkendem, pechschwarzem Müll. Umgeben von kompakten dunklen Wänden. Von kaltem, totem Metall. In dem Metall lebt etwas. Surrt. Fette Schmeißfliegen surren, sie sind eingesperrt, so wie sie selber. Fliegen und Blut. Pulsierendes Blut. Blut aus Fingern, die immer wieder gegen eine Metallwand schlagen. Dünne schmale Hände, Finger mit Silberringen, die an lachendem Metall, an höhnisch kichernden Stimmen zerschlagen werden.
    Anne-kin fährt heulend hoch, der Traum sitzt ihr im Rückenmark. Sie springt hoch, sieht so unklar, dass sie gegen den Türrahmen knallt, schwankt ins Badezimmer, dreht die Dusche voll auf, krümmt sich unter dem Strahl und bleibt dort stehen, bis der Heißwassertank leer ist und der Albtraum im Abfluss verschwindet. Sie selber verschwindet fröstelnd im Schlafzimmer unter der Decke, zieht sie sich über den Kopf und weiß, dass die Nacht lang sein wird.

6
    Sie hört sie kommen. Sie schleichen sich die Treppen hoch, lautlos auf weichen Pfoten kommen sie über den Flur. Sie sind weiß gekleidet. Und sie bleiben vor ihrer Tür stehen. Rasche Seitenblicke, dann wird die Türklinke langsam nach unten gedrückt. In der Hand halten sie eine Spritze. Sie hat keine Chance. Jetzt haben sie sie.
    Die Frau im Bett weiß, sie muss weg, muss verschwinden, solange noch Zeit ist. Denn sie werden kommen, früher oder später werden sie kommen. Einer oder mehrere, verkleidet in weißen Barmherzigkeitsstoff. Sie ist gefährlich für sie, sie weiß zu viel, in ihren zerschlagenen Sinnen zittert eine Gewissheit: »Sie sind unterwegs.« Denn sie wissen, wo sie ist, die Zeitung, die diese Polizistin vergessen oder verloren oder ganz bewusst hinterlassen hat, brachte Bilder und einen Text, die mit ihr zu tun haben mussten. Bilder von einem großen Krankenhaus und einem Container, von Schuppen, Booten, einem Hafen. Es war nicht ihr Hafen. Sie war nicht zu Hause.
    Ein stechender Schmerz, und die Kanüle steckt nicht mehr in ihrem Handgelenk. Sie setzt sich auf, befreit sich von der Decke, starrt die Wand an und bringt das sich drehende Zimmer langsam zur Ruhe. Ihre Beine tragen sie. Aber sie sind nackt. Abgesehen von einem Druckverband auf dem einen Oberschenkel. Mit Verband und nackten Beinen wird sie nicht weit kommen. Sie haben ihr ihre Kleider weggenommen, ihre neuen Kleider. Der Schrank ist leer, dort hängt nicht einmal ein Schlafrock. Aber auch in einem Schlafrock würde sie nicht weit kommen. Das Zimmer liegt im Dunkeln, abgesehen von einem Lämpchen an der Wand. Durch den Türspalt sickert vom Flur her Licht herein. Sie wagt nicht, Licht zu machen, braucht aber auch kein Licht. Was sie braucht, sind Kleider. Und Glück. Sehr viel Glück. Denn in langen leeren Krankenhausgängen gibt es kaum ein Versteck für sie, für den Fall, dass jemand ein Becken oder eine Schlaftablette braucht. Plötzlich stutzt sie, denn durch den winzigen
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