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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau
Autoren: Kim Smage
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Türspalt, den sie geöffnet hat, sieht sie, dass der Flur durchaus nicht hell erleuchtet ist. Er liegt im Halbdunkel. Sie kann Wandschirme und Stühle erkennen, Nachttische und Betten. Aus einem Bett kommt leises Schnarchen, aus einem anderen unterdrücktes Stöhnen. Nur im Stationszimmer mitten auf dem Flur brennt helles Licht. Ein weiß gekleideter Mensch kommt durch die Glastür, eine Frau, sie trägt etwas in den Händen und geht zu den unterdrückten Stöhngeräuschen. Ein »Danke« ist zu hören und ein Wasserglas wird auf den Nachttisch gesetzt. Die Weißgekleidete verschwindet wieder im Stationszimmer. Der Flur liegt da wie vorher. Nur ein Türspalt wird langsam immer breiter. Und nun ist er so breit, dass sie sich hindurchzwängen kann. Mit den Schmerzen in ihren Fingern kann sie leben, schlimmer ist, dass sie nicht fassen können. Am Fußende eines Bettes sieht sie eine Strickjacke, packt sie und lässt sie zu Boden fallen. Die Knöpfe klirren. Verängstigt geht sie in die Hocke. Aber die Besitzerin des Bettes ist nicht aufgewacht. Und niemand kommt aus dem Stationszimmer gestürzt. Sie setzt sich hinter einem Wandschirm auf einen Stuhl und schafft es dann endlich, die Jacke anzuziehen. Weitere Kleidungsstücke findet sie nicht. Sie muss in einem Zimmer suchen, einen Schrank finden, Kleider finden. Schuhe. Machen, dass sie wegkommt. Denn sie sind unterwegs, sie spürt, dass sie unterwegs sind. Sie schlüpft ins nächstgelegene Zimmer, es ist ein Einzelzimmer. Die Schranktür jammert, aber kein Einspruch ist aus dem Bett zu hören, als sie den Schrank von Kleidern befreit. Die Frau im Bett hat ihre schmerzstillenden Mittel bekommen und wird noch viele Stunden lang nicht erwachen. Sie zwingt ihre geschwollenen Finger, Rock und Schuhe zu fassen und zu sich zu ziehen. Der Mantel sieht teuer aus, das weiche Futter ist für ihre Hände wie eine kühlende Salbe. Aber ihre Kräfte sind verbraucht. Sie lässt sich in einer Ecke zu Boden sinken, bleibt an die Wand gelehnt sitzen, hört vor der Tür Schritte, hört klirrendes Metall. Dann ist es wieder still und eine unsicher gehende kleine Frau mit weißem Gesicht schleicht sich zum Ausgang, zum Treppenhaus. Die ganze Zeit richtet sie ein Auge auf das Stationszimmer und eins auf den nächststehenden Wandschirm. Als die Tür seufzend hinter ihr zugleitet, steht sie in einem hell erleuchteten Treppenhaus, auf der einen Seite liegt der Aufenthaltsraum, auf der anderen sind die Treppen. Der Flur auf der gegenüberliegenden Seite ist lang und hell. Dort liegt niemand, dort ist niemand unterwegs. Das ganze große Gebäude wirkt wie ausgestorben, nur schwaches Rauschen der Ventilatoren dringt an ihr Ohr.
    Oder ist das Gemurmel? Murmelnde Stimmen? Flüsternde? Stimmen mit Injektionsnadeln? Woher kommen sie? Aus den Fahrstühlen? Von den Treppen? Sie schluckt und horcht mit offenem Mund. Plötzlich scheppert ein Fahrstuhl, der Pfeil frisst sich langsam aufwärts, Stock für Stock. Zwei Stock unter ihr hält er inne. Sie hört Stimmen, Frauenstimmen. Dann verschwinden auch die. Sie steht schon im Treppenhaus und das Einzige, was sie auf den vielen Schildern und Wegweisern begreift, sind die Zahlen.
    Es ist weit bis nach unten.
     
    Ihr Verschwinden wird entdeckt, noch ehe der Krankenpfleger, der sie zum Röntgen holen soll, ohne Patientin abziehen muss.
    »Ist das eigentlich ein Neuer«, fragt jemand. »Den habe ich noch nie gesehen.«

7
    Die Morgenbesprechung auf der Wache begann eiskalt. Dann wurde sie rot glühend. Chef Sundt sorgte für diesen raschen Temperaturumschlag.
    Um 04.55 hatte eine Nachtwache aus dem Regionalkrankenhaus die Wache angerufen. Eine Patientin wurde vermisst. Dort, wo wenige Stunden zuvor eine scheinbar bewusstlose Frau gelegen hatte, lag jetzt nichts. Der Tropf war losgelöst worden, die Frau war auf der ganzen Station nicht zu finden. Und jetzt wurde auf allen Etagen und allen Stationen gesucht.
    Die Kellerlabyrinthe, denkt Kommissarin Halvorsen, dort kann man sich in bewusstem und bewusstlosem Zustand gleichermaßen gut verlaufen. Das sagt sie nicht laut. Sundt zieht es vor, zu Ende reden zu können. Vor allem dann, wenn er so viel Eis in der Stimme hat wie jetzt. Kollege Vang unterdrückt ein Gähnen. Er scheint umherirrende Frauen in Krankenhaushemden nicht sonderlich spannend zu finden. Er möchte so bald wie möglich zum »Nyhavn-Mord« oder noch lieber zur »Containerfrau« übergehen. Er hat sie ja schließlich gefunden, hat die Frauen
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