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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau
Autoren: Kim Smage
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besagten Container geschafft hat.«
    Anne-kin Halvorsen merkt, wie ihre Mundwinkel sich zu einer schiefen Grimasse nach oben ziehen. Sundt und seine Wortwahl sind einfach unbeschreiblich. Als Nächstes merkt sie einen Rippenstoß, der stammt von Vang, ihrem Hauskreuz.
    »Halt die Fresse«, faucht er. Sie begnügt sich mit einem tödlichen Blick. Er ist hier laut, nicht sie.
    »Wie ihr wisst, stammt ihre Bekleidung aus Norwegen, ist relativ neu, kann überall gekauft werden, gibt keine Anhaltspunkte. Das gilt auch für die Schuhe. Keine Papiere, Pässe, Quittungen, Straßenbahn-, Bus-, Bahnfahrkarten, keine Flugscheine gefunden. Keine besonderen Kennzeichen. Nichts.« Chef Sundt psalmodiert so förmlich wie auf einer Pressekonferenz.
    »Aber«, lange Pause. Anne-kin starrt ihren Chef hellwach an, was hat er hier zu abern? Was weiß er? Das er nicht sofort auswürgen kann?
    »Aber«, Sundt blättert in dem Papierstapel, der vor ihm liegt, dreht ihn hochkant, klopft ihn gerade, führt sich auf wie das trägste aller trägen Landeier. Und sagt: »Pathologie und Odontologie … der Zahnarzt, ja, vor allem der Zahnarzt, haben den Mund untersucht, ich meine, die Zähne, also die Zähne der beiden … der beiden toten Frauen … und er meint, dass sie … wegen der Zahnarztarbeiten, meint er also, dass die beiden Frauen aus Osteuropa stammen. Das sieht er an«, und jetzt folgt eine lange Ausführung über Unterschiede in Zahnpflege und Plomben vor und hinter dem alten Eisernen Vorhang. Wenn Nr. 3 stark genug für eine Vernehmung ist – sie müssen auf die Zustimmung des Arztes warten –, dann wird die Identität der drei bestätigt werden. Das ist noch die Frage, denkt Anne-kin, sie glaubt nicht, dass die drei per Touristenvisum eingereist sind, um den Nidarosdom zu besichtigen.
    »Inzwischen«, sagte Sundt, »sind Fotos und Beschreibungen über Interpol ausgesandt worden.« Ein Kollege kommt ihr mit der Frage nach dem Zustand der Frau zuvor. »Stabil«, lautet die Antwort.
    »Stabil«, sagte Anne-kin Halvorsen zu Sundt. »Der Tod ist auch stabil.« Könnte er freundlicherweise ein wenig konkreter werden?
    »Ja, natürlich.« Sundt blättert sich in seinem Stapel nach unten. Und sie bekommen in spracharroganter Ärzteterminologie etwas zu hören, was sich damit übersetzen lässt, dass die Frau übel zugerichtet ist, ihre Finger zerschrammt und geschwollen sind, keine Brüche, keine inneren Verletzungen, die Organe funktionieren vorschriftsmäßig, aber die Kranke hat der Welt den Rücken zugekehrt. Sie will die Augen nicht aufmachen, sie will nicht sprechen, sie muss künstlich ernährt werden, sie will einfach nur im Bett liegen und »bewusstlos« sein.
    »Meine Güte«, sagte Kommissar Halvorsen leise. »Bekommt sie denn fachliche Hilfe, mehr als Nahrung und Beckenleeren, meine ich, psychologische oder …«
    »Aber sicher«, fällt Sundt ihr ins Wort. »Das steht in dem Bericht, den ich eben vorgelesen habe.« Ach, denkt sie, stand das da? Da muss ich aber endlich mal Norwegisch lernen.
     
    Auf dem Rückweg zu Büro und Computern hält Kommissarin Halvorsen ihren Chef an und fragte: »Ich würde gern mal im Krankenhaus vorbeischauen, ist das eine gute Idee oder eine schlechte?«
    »Eine gute«, sagt er. »Vergiss nicht deinen Dienstausweis.«

5
    Sie geht zu Fuß zum Regionalkrankenhaus Trondheim, dem RiT, einem zwölfstöckigen pissgelben Gebäude mit einem Kellerlabyrinth, in dem man sich wunderbar verirren kann. Ehe die einzelnen Wege dort, die alle nach Beerensorten heißen, ausgeschildert worden waren, war ihr das denn auch passiert. Sie war durch den Untergrund geirrt und hatte begriffen, dass Trondheim im wahrsten Sinne des Wortes eine Unterwelt besitzt. Als sie wieder ans Tageslicht gekommen war, stand sie in einem ganz anderen Gebäude und an einem ganz anderen Ort als zu Beginn ihrer Wanderung. Jetzt will sie nicht in den Untergrund und auch zu keinem Obduktionslokal, sie will nach oben. Am Kiosk unten im Foyer kauft sie den Krankenhausstrauß der Woche – rote und weiß gesprenkelte Nelken mit Grünkram. Sie stopft sie zu den Tageszeitungen in die Tasche und geht zu Fuß die Treppen hoch. Die Kuhboxen von Fahrstuhl, die das Krankenhaus anzubieten hat, versetzen sie immer in Atemnot.
    Die Krankenschwester, der sie ihren Dienstausweis vorlegt, sieht durchaus nicht überzeugt aus. Sie dreht und wendet ihn, mag sie nicht hineinlassen. Anne-kin Halvorsen findet das beruhigend. Sie könnte ja auch irgendein
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