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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau
Autoren: Kim Smage
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Rücken, vielleicht sollten sie nichts überstürzen und auf den Krankenwagen warten? Aber es ist unmöglich, bei diesem Gestank nichts zu überstürzen, sie können die Frau nicht eine Sekunde länger als nötig in diesem Gestank liegen lassen. Am Ende müssen sie in den Container klettern, sie stehen einander gegenüber und graben und werfen, graben und werfen. Die nächste Schicht besteht aus Ziegelsteinen, aus ganzen und halben roten Ziegelsteinen mit grauem Mörtel. Sie brauchten Handschuhe, Arbeitshandschuhe. Kalkstaub vermischt sich mit dem Gestank, macht aus ihm eine geradezu sichtbare Materie. Sie werden jetzt langsamer, der Staub soll sich legen, sie merken, dass sie dieses arme Wesen sonst ersticken könnten. Aber kein Geräusch kommt von dieser Frau, nicht ein Husten, nicht ein Stöhnen, gar nichts. Trotzdem, in den roten Augen gibt es eine Art Leben. Kommissarin Anne-kin Halvorsen fängt ihren Blick auf, ja, es gibt eine Art Leben. Sie spürt eine Wut in sich aufsteigen, schiebt sie fort, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um zu denken, wie und warum und wer, jetzt muss sie tiefer kommen, die Frau loseisen und sie an die frische Luft schaffen.
    Plötzlich hört sie einen Wutausbruch, er stammt von Kollege Vang. Sie fährt zu ihm herum. Hört im selben Moment die sich nähernden Sirenen.
    »O verdammte Scheiße«, hört sie ihn keuchen. Er hält einen Jackenärmel zwischen den Händen. Und aus diesem Ärmel schauen dünne, weiße Finger. An zwei Fingern sitzen Ringe, schmale Silberringe. Und die Nägel sind rot, ein wenig abgeblättert rot. Der übrige Körper ist von Ziegelsteinen verdeckt. Anne-kin packt den nächstgelegenen, will ihn wegheben. Ihre Gedanken sind das pure Chaos. Was zum Teufel ist das? Was zum Teufel soll das bedeuten? Unter den Steinen liegt ein Kopf, nein, um Gottes willen, zwei Köpfe. Dicht an dicht liegen sie da. Umsponnen von Blut und Haaren, von Zementstaub und Abfall. Anne-kin taumelt rückwärts, registriert, dass Vang sich am Containerrand anklammert, seine Beine knicken unter ihm ab. Sie selber wird vom Hundebesitzer aufgefangen, ehe sie zu Boden sinkt. Zum Dank kotzt sie ihm die Uniform voll.
    Das Stöhnen, das sie hört, stammt von Vang. Er scheint auch reif für eine Ohnmacht zu sein, der kräftige Mann schwankt hin und her. Und der Karateschlag, den er der Schuppenwand verpasst, hätte diese leicht spalten können. Kommissarin Anne-kin Halvorsen stolpert wieder zum Container, beugt sich über den Rand, bückt sich und tastet, findet und packt zu. Packt eine Hand mit blutigen Fingerknöcheln und hält sie fest. Hält und hält sie fest. Spuckt sinnlose Worte aus, »bald wird alles gut, bald hört dieser Irrsinn auf, bald wird alles gut, bitte, halte durch, du musst durchhalten, hörst du.«
    Der schwache Druck, den ihre Hand verspürt, muss keine Einbildung sein.

2
    An Verweigerung von Überstunden dachte niemand, als der Krankenwagen angeheult kam. Kommissarin Anne-kin Halvorsen glaubt, im Weg zu stehen, wohin sie auch geht. Weißkittel rennen durch die Türen ein und aus und über den Gang. Eigentlich hat sie hier nichts mehr zu suchen, der Transport mit ihr als Begleitung ist durchgeführt worden, sie hat Flaschen gehalten, das Krankenhaus vorläufig informiert, die grauen Papiertüten mit den Kleidern zur näheren Untersuchung sind ihr überreicht worden, und sie sollte zusehen, dass sie diese Tüten zur Technik schafft. Aber sie läuft weiter hin und her und schaut jedesmal von neuem gespannt auf, wenn eine Tür geöffnet wird. »Please help me«, hatte die Frau im Schuppen aus sich herauspressen können. Und keine Frau aus Trondheim sagt so etwas, und auch keine aus dem Süden oder aus dem Norden. Anne-kin würde nur zu gern die grauen Papiertüten durchwühlen, um die Identität dieser Frauen in Erfahrung zu bringen. Denn es sind drei. Zwei von ihnen lebten noch, die Dritte hatte die Krankenwagenbesatzung vor Anne-kins Augen mit einem Laken bedeckt. Vielleicht unterschrieb in diesem Moment der Polizeidirektor die Obduktionspapiere. Was sie hier eigentlich so nervös abwartete, war die Versicherung, dass es zu keinen weiteren Obduktionen kommen würde. Du bist keine Angehörige, Halvorsen, sagte sie sich. Es kam ihr nur so vor. Dieser kleine Spatz von Mädchen, dessen Hand du gehalten hast, könnte fast deine Tochter sein. Oder zumindest deine kleine Schwester.
    Wenn doch wenigstens jemand käme und etwas sagte! Aber nichts dringt aus den Operationssälen und
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