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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau
Autoren: Kim Smage
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ein weiteres Mal.
    Und dann peilt er eine weniger windige Stelle an. Zwischen den Lagerschuppen. Sie folgt ihm, egal wohin, sie friert wie bescheuert. Sollen Kollege Vang und der Hundebesitzer doch auf dem offenen Platz stehen bleiben und glauben, der Wind könne ihnen die Antwort auf die Mordfrage liefern. Sie krümmt sich zusammen, biegt um eine weitere Ecke, und nun befinden sie sich im Windschutz. Der Hund bleibt stehen, dreht sich um, bedenkt sie mit einem raschen ungeduldigen Blick und läuft weiter. Kopf und Schnauze hat er gesenkt. Wie auch den restlichen Körper. Anne-kin stutzt. Seltsames Verhalten, denkt sie, Polizeihunde führen solche Künste nicht aus Jux vor, vielleicht hat das Tier irgendeine Witterung genommen? Irgendeinen verlorenen Handschuh? Eine leere Flasche? Eine Packung Tabak? Sie läuft hinterher. Krümmt sich zusammen und läuft hinterher. Der Container, den der Hund jetzt ansteuert, steht vor der Schuppenwand, außerhalb der Absperrung, ein normaler grauer, verbeulter, viel benutzter Container. Ein Abfallcontainer. Hilfsangebot der Hafendirektion. Der Hund geht ganz dicht heran, schnüffelt, fiept, spitzt die Ohren. Und markiert. Markiert wie ein Drogenhund! Du bist kein Drogenhund, Garp, denkt Kommissarin Halvorsen, darauf bist du nicht trainiert. Warum zum Teufel fiepst du so? Wonach gräbst du mit deiner Pfote? Kommissarin Halvorsen hört ein kurzes Bellen, dann setzt der Hund Garp sich auf den Hintern und bleibt bewegungslos sitzen. Sein Gebell verhallt im Wind.
    Plötzlich glaubt sie ein anderes Geräusch zu hören. Auch dieses Geräusch verschwindet im Wind. Echo, denkt Annekin, das muss das Hunde-Echo sein. Das gegen einen Container und wieder zurück geschleudert wird? Doch jetzt hört sie es wieder. Es ist eine Art Menschenstimme, gefolgt von dumpfem Klopfen. Das Bellen, das Garp bellt, ist so laut, dass die beiden Beamten draußen auf dem Kai blitzschnell herumfahren. Sie starren sie an, den Hund, die Schuppenwand. Und den Container. Sie winkt, brüllt gegen den Wind: »Hierher! Kommt her!« Sie sind schon unterwegs. Kollege Vang vorweg, der Hundebesitzer hinterdrein.
    »Hört doch«, befiehlt Anne-kin Halvorsen. Hebt die Hand und bittet den Wind eine Pause einzulegen. Sie gehorchen unwillig, aber sie hören. Aus der Tiefe des verbeulten hafeneigenen Abfallcontainers hören sie schwache Klopfgeräusche. Und einige Menschengeräusche. Darinnen ist jemand!
    Wieder wird geklopft. Der Hund bellt. Sie hören eine Stimme. Stimme? Nein, Stimmen klingen anders. Drei Händepaare legen sich gleichzeitig auf den Deckel, umfassen die Kante. Heben ihn hoch. Und öffnen ihn. Ein Fliegenschwarm stiebt hervor, fette blauglänzende Schmeißfliegen. Anne-kin Halvorsen duckt sich blitzschnell, macht den Flüchtlingen die Bahn frei. Sie jagen wie ein schwarzer Bienenschwarm an ihren Ohren vorbei.
    Dann beugen sie sich über den Rand und starren in den Container. Der ist fast bis oben gefüllt, irgendwer renoviert, abgefetzte Tapetenreste, braunfleckige Eternitplatten, verschimmelte Teppichbodenreste und ein Geruch, ein Gestank, schlimmer als das Schlimmste, was sie je gerochen hat. Die Mietskasernen in der Oststadt sind 4711 im Vergleich, die Plumpsklos von Lamoen der pure Frühlingsduft. Hier riecht es nach Tod. Verwesung und Tod. Aber der Kopf, der mitten im Abfall liegt, ist nicht tot, ist nicht ganz leblos. Zumindest nicht die Augen, deren Ausdruck wechselt zwischen Angst und noch mehr Angst. Und die Hand, die sich zur Containerwand streckt, blutet, blutet aus zerschlagenen Fingerknöcheln. Sie hört ein Stöhnen, es stammt von ihr selber, oder von Vang. Und dann hört sie eine Frauenstimme etwas gurgeln, das »please help me« heißen kann. Kommissarin Halvorsen und Kommissar Vang versuchen schon, Holzstücke und Teppichreste, Eternitstücke und Tapeten fortzureißen. Sie graben sich tiefer, um den noch lebenden Kopf mit den noch nicht ganz erloschenen Augen freizulegen. Packen Abfall und werfen ihn auf den Boden. Der Gestank wird schlimmer, je tiefer sie in den Container vordringen.
    »Handschuhe! Spritzen!«, hört sie den Kollegen warnend rufen. Er hat soeben Verstärkung und einen Krankenwagen angefordert.
    Rosa Pullover, denkt Anne-kin, als ihre Finger über etwas streichen. Das hier war ein rosa Pullover. Sie versucht verzweifelt den Oberkörper des Menschen freizulegen, der dort unten liegt. Und sie hört ein schmerzhaftes Stöhnen. Vielleicht hat sie etwas gebrochen, den Nacken, den
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