Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
über seine Lippen kommen zu lassen.
    »Genau!« brüllte Roscoe Rules los. »Säcke! Das ist es, was diese ganzen Arschlöcher sind – dreckige, blöde, widerliche, häßliche, absolut überflüssige Säcke. Wirklich nicht schlecht! Säcke!«
    »Die Philosophie eines Mannes, ausgedrückt in einem Wort«, bemerkte Baxter Slate von 7-A-1. »Hört! Hört!« Er hielt seine Flasche hoch und goß, was sie noch enthielt, in drei Schlucken seinen Rachen hinunter.
    Es gab allerdings noch etwas, das Roscoe Rules unter den Chorknaben eine gewisse Beliebtheit eintrug – sein Organisationstalent. Roscoe beschaffte die ausgefallensten und leckersten Speisen und Getränke für die Chorknaben, die ihn ansonsten für einen unausstehlichen Widerling hielten – und das auch noch völlig umsonst.
    Zuerst konnte Roscoe an seinem Partner Dean Pratt nur sein sauber geschnittenes rotes Haar nicht ausstehen. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis er ihn auch wegen seiner besoffenen Heulkrämpfe während ihrer nächtlichen Zusammenkünfte zu hassen begann. Und da war noch etwas an Dean Pratt, das alle Chorknaben nervte. Der fünfundzwanzigjährige Junggeselle brauchte nämlich nur einen winzigen Schluck Alkohol, um sein Gehirn absolut funktionsuntauglich zu machen. Und dann war es praktisch unmöglich, dem dämlich grienenden Rotschopf auch nur irgend etwas begreiflich zu machen. Jede Frage, jede Feststellung, jeder kleine Witz wurde mit der idiotischen, frustrierenden, nervenaufreibenden Bemerkung beantwortet: »Das verstehe ich nicht. Das verstehe ich nicht.« Oder: »Was willst du damit sagen? Was willst du damit sagen?« Am häufigsten bekam man jedoch den Satz zu hören: »Was meinst du? Was meinst du?« Und das alles nie ohne die doppelte Wiederholung.
    Jedenfalls handelte sich Dean Pratt auf diese Weise langsam den Spitznamen Wasmeinstdu-Dean ein. Während der ersten Sitzungen der MacArthur-Park-Chorknaben kam es deshalb schließlich jedesmal an einem bestimmten Punkt so weit, daß Roscoe Rules, Calvin Potts oder Spermwhale Whalen den schlaksigen Rotschopf an seinem Bugs-Bunny-T-Shirt packten und ihn verzweifelt schüttelten, während Dean völlig aufgelöst babbelte: »Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das nicht. Was meinst du? Was meinst du?« Dennoch war Wasmeinstdu-Dean der erste Polizist, den Roscoe Rules zu sich nach Hause einlud und mit seiner Familie bekannt machte. Roscoe war einer der drei verheirateten Chorknaben und lebte auf einem kleinen Grundstück östlich von Chino, das etwa hundert Kilometer von der Wilshire Station entfernt lag. Selbst die wenigen Freunde, die sich Roscoe während der letzten vier Jahre bei der Polizei gemacht hatte, fanden diese Distanz für einen kleinen Besuch etwas zu weit. Roscoe gefiel es dort draußen allerdings, und die lange Fahrerei machte ihm nichts aus. Seine Kinder konnten, wie er, in einer ländlichen Umgebung aufwachsen. Nur würden sie nicht so hart arbeiten müssen wie er. Seine zwei Söhne, acht und neun Jahre alt, hatten nichts weiter zu tun, als die Beete mit Mais, Zwiebeln, Karotten, Kürbissen und Melonen zu hacken, zu jäten und zu gießen. Wenn sie dann den Stall ausgemistet, den Dreck von den Hufen des Pferds gekratzt und das altersschwache Pony gestriegelt hatten, durften sie für den Rest des Tages spielen, soviel sie wollten. Danach mußten sie an Wochentagen mindestens ein bis eineinhalb Stunden für die Schule lernen, an Samstagen und Sonntagen sogar zwei. Und danach legten sie an den Wochenenden für fünfundvierzig Minuten ein ordentliches Baseballtraining ein.
    Roscoe Rules hatte seine beiden Söhne überzeugt, daß sie sofort große Stars werden würden, wenn sie erst einmal alt genug waren, um in eine Mannschaft einzutreten. Außerdem hatte er sie davon überzeugt, daß ihnen genau das blühen würde, was das widerspenstige Pony bekam, wenn es nicht parierte, falls sie die Grundschule nicht mit einer Serie glatter Einsen abschließen sollten.
    Roscoes Söhne ritten genauso ungern, wie das Pony sich reiten ließ. Und wenn das Pony wieder einmal nicht wollte, schlang ihm Roscoe eine Schlinge um die Vorderbeine und befestigte das Seil an einem Pfosten des Gatters. Wenn sich dann das Seil spannte, wurden dem armen Tier die Beine nach hinten gerissen, und Roscoe versetzte ihm im Fallen auch noch einen kräftigen rechten Haken zwischen die Augen. Dabei trug er seine alten Handschuhe mit den bleiverstärkten Handflächen und den gepolsterten Knöchern (eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher