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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben
Autoren: Joseph Wambaugh
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Monate, in denen die Singstunden im MacArthur-Park abgehalten wurden, gut als Gründungsmitglied gelten können. Er war dazu eines Abends nach einem Drei-Uhr-Morgen-Appell, bei dem den Uniformierten von Stanley Drobeck ein überraschender Besuch abgestattet worden war, von Harold Bloomguard eingeladen worden. Der Revierkommandant trug einen Seidenanzug und schwarz-weiße Lederschuhe. Als Captain Drobeck den Versammlungsraum betrat, nahm Lieutenant Alvin Finque, der den Appel leitete, unwillkürlich Habachtstellung ein, was die blau uniformierten Streifenpolizisten verwunderte. Da es bei der Polizei nicht halbwegs so militärisch zugeht wie in der Army, nimmt ein Polizist eigentlich nur bei einer Inspektion oder einer offiziellen Feier Habachtstellung an.
    Lieutenant Finque errötete und setzte sich wieder. Er zwinkerte und begrüßte Captain Drobeck mit einem lässigen ›Hi, Skipper‹.
    »Wer auch immer den Einbrecher in Distrikt Sieben-A-Eins geschnappt hat, hat sich was Ordentliches zu Rauchen verdient!« verkündete der Captain und schleuderte vier Fünfzehn-Cent-Zigarren unter die achtundzwanzig versammelten Nachtstreifenbeamten, um dann mit einem selbstzufriedenen Lächeln wieder durch die Tür zu stolzieren. Sein frisch gewaschenes Haar schimmerte an diesem Tag bläulich-weiß. Nur drei der Nachtstreifenpolizisten waren alt genug, um mit einer Zigarre nicht lächerlich zu wirken. Einer davon war Herbert ›Spermwhale‹ Whalen, und er war es auch gewesen, der den Einbrecher geschnappt hatte. Außerdem war er ein Mac Arthur-Park-Chorknabe.
    Wie alle alten Hasen saß Spermwhale in der hintersten Reihe und bestand darauf, seine Mütze aufzubehalten. Und sie saß natürlich leicht schräg auf seinem Kopf. Spermwhale hob eine der Zigarren vom Boden auf, besah sich das Etikett, setzte sich dann darauf und ließ einen gewaltigen Furz, der jeden Uniformierten in seiner Nähe zusammenzucken ließ. Dann warf er die Zigarre wieder auf den Boden. Ein anderer Chorknabe, Spencer Van Moot von 7-A-33, hob sie vorsichtig mit zwei Fingern auf, puhlte das Zellophan ab und meinte: »So schlecht ist das Ding wahrscheinlich gar nicht, wenn es wieder trocken ist.«
    Lieutenant Finque hatte erst kürzlich Lieutenant Grimsleys Stelle eingenommen, dessen Versetzung durch Spermwhale Whalen unter recht mysteriösen Umständen beschleunigt herbeigeführt worden war. Lieutenant Finque war mittelgroß; sein glattes, gescheiteltes Haar war nach hinten gekämmt, wie es sein Vater getragen hatte, als es 1939 noch richtig schick gewesen war. 1939 war übrigens Lieutenant Finques Geburtsjahr. Der Lieutenant fühlte sich in seiner neuen Rolle noch keineswegs sicher, beachtete aber doch kaum – wenn überhaupt – die Ratschläge, um die er Sergeant Nick Yanov ständig anging. Sergeant Yanov, ein schmalhüftiger, kräftig gebauter Mann, der sich zweimal täglich rasieren mußte, um seine Koteletten im Zaum zu halten, war seit elf Jahren bei der Polizei und hatte mit vierunddreißig Jahren entsprechend weniger Erfahrung als Lieutenant Finque. Dafür war er der einzige Kontrollbeamte, der je zu einer Singstunde im MacArthur-Park eingeladen worden war – ein Angebot, das Yanov übrigens in weiser Voraussicht abschlug.
    Sergeant Yanovs einziges, wirklich brennendes Lebensziel – und damit war er in der Wilshire Station keineswegs der einzige – bestand darin, eines Nachts Polizistin Reba Hadley hinter ihrem Schreibtisch hervor und in den Keller zu locken, ihr dort die knapp sitzende Uniformbluse und den Rock von ihrem aufreizenden, jungen Körper zu reißen und es ihr einmal ordentlich zu zeigen. Dieser Wunsch stand vielleicht in symbolischem Zusammenhang mit Yanovs Überzeugung, daß es ihm Vorgesetzte wie Lieutenant Finque nun schon elf Jahre lang erbarmungslos gezeigt hatten.
    Lieutenant Finques Ziele waren dagegen etwas anderer Natur. Er wollte der erste Revierkommandant in der Geschichte der Wilshire Station werden, der jeden einzelnen Mann seines Reviers dabei ertappte, wie er ohne Mütze aus seinem Wagen stieg oder einen Gratiskaffee trank oder sich nicht korrekt am Telefon meldete.
    Als sich die Aufregung nach Spermwhales Beitrag zum Appell einigermaßen gelegt hatte, fuhr Lieutenant Finque fort: »Also gut, Jungs. Wir haben da noch einige Anweisungen hinsichtlich diplomatischer Immunität in Straf fällen. Falls ihr im Dienst einmal mit einem Konsul oder Botschafter zu tun haben solltet – kennt eigentlich jeder den Unterschied
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