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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
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gekontert wurden. Moore war sich nicht sicher, ob er Rizzoli mochte oder sie ihn. Bisher hatte sich ihr Umgang miteinander strikt auf die dienstliche Ebene beschränkt, und er hatte den Eindruck, dass ihr das ganz recht war.
    Neben Rizzoli stand ihr Partner Barry Frost, ein Polizist mit einem unerschütterlich heiteren Gemüt, dessen nichts sagendes, bartloses Gesicht ihn wesentlich jünger wirken ließ als seine dreißig Jahre. Frost arbeitete nun schon seit zwei Monaten mit Rizzoli zusammen, ohne dass es irgendwelche Beschwerden gegeben hätte; er war der einzige Mann im ganzen Dezernat, der ihre üblen Launen mit Gelassenheit ertragen konnte.
    Als Moore auf den Tisch zutrat, sagte Rizzoli: »Wir haben uns schon gefragt, wann Sie auftauchen würden.«
    »Ich war schon auf dem Maine Turnpike nach Norden unterwegs, als Sie mich angepiepst haben.«
    »Wir warten hier schon seit fünf.«
    »Und ich wollte gerade mit der inneren Besichtigung beginnen«, warf Dr. Tierney ein. »Ich würde daher sagen, dass Detective Moore gerade rechtzeitig eingetroffen ist.« Ein Mann sprang für den anderen in die Bresche. Dr. Tierney schlug die Tür des Metallschranks mit einem Knall zu, der im Saal widerhallte. Es kam nicht oft vor, dass er seinen Unmut so offen erkennen ließ. Er stammte aus Georgia; ein vornehmer Südstaaten-Gentleman, der davon überzeugt war, dass Damen sich wie Damen zu benehmen hatten. Es bereitete ihm kein Vergnügen, mit der kratzbürstigen Jane Rizzoli zusammenzuarbeiten.
    Der Assistent rollte den Tablettwagen mit den Instrumenten an den Tisch heran. Für einen Moment trafen sich seine und Moores Blicke; er schien sagen zu wollen: Was für eine Schreckschraube!
    »Tut mir Leid wegen Ihrer Angeltour«, sagte Tierney zu Moore. »Sieht so aus, als wäre Ihr Urlaub gestrichen.«
    »Sind Sie sicher, dass es wieder unser Freund ist?«
    Anstelle einer Antwort schlug Tierney das Tuch zurück, mit dem die Leiche zugedeckt war. »Ihr Name ist Elena Ortiz.«
    Moore war auf den Anblick gefasst gewesen, doch als er jetzt das Opfer zum ersten Mal erblickte, traf es ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Die schwarzen Haare der Frau waren mit Blut verklebt und standen wie Stacheln von ihrem Kopf ab; das Gesicht hatte die Farbe blau geäderten Marmors. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, wie mitten in einem Wort erstarrt. Das Blut war bereits vom Körper abgewaschen worden, und ihre Wunden klafften als violette Risse in der grauen Leinwand der Haut. Es gab zwei sichtbare Wunden. Die eine war ein tiefer Einschnitt im Hals, der die linke Halsschlagader durchtrennt und den Knorpel des Kehlkopfs freigelegt hatte. Der Gnadenstoß. Der zweite Schnitt war im Unterbauchbereich. Diese Verletzung war ihr nicht mit der Absicht zugefügt worden, sie zu töten. Sie hatte einem ganz anderen Zweck gedient.
    Moore schluckte krampfhaft. »Jetzt verstehe ich, weshalb Sie mich aus dem Urlaub zurückgeholt haben.«
    »Ich leite die Ermittlungen in diesem Fall«, sagte Rizzoli.
    Er hörte den warnenden Unterton aus ihrer Bemerkung heraus: Sie verteidigte ihr Territorium. Er begriff, was die Ursache war – die Spötteleien und skeptischen Kommentare, denen weibliche Kriminalbeamte unentwegt ausgesetzt waren, konnten sie mit der Zeit sehr dünnhäutig werden lassen. In Wirklichkeit hatte er gar nicht die Absicht, mit ihr in Konkurrenz zu treten. Sie würden gemeinsam an diesem Fall arbeiten müssen, und es war noch viel zu früh für irgendwelche Positionskämpfe.
    Er achtete sorgfältig darauf, nicht zu respektlos zu klingen. »Würden Sie mich bitte über die Umstände der Tat ins Bild setzen?«
    Rizzoli nickte knapp. »Das Opfer wurde heute Morgen um neun Uhr in ihrer Wohnung in der Worcester Street gefunden. Das ist im South End. Sie fängt gewöhnlich gegen sechs Uhr morgens mit der Arbeit an, in einem Blumenladen ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Er heißt ›Celebration Florists‹. Es ist ein Familienbetrieb, gehört ihren Eltern. Als sie nicht auftauchte, begannen sie sich Sorgen zu machen. Ihr Bruder ging nach ihr sehen und fand sie im Schlafzimmer. Dr. Tierney schätzt, dass der Tod zwischen Mitternacht und vier Uhr früh eingetreten ist. Nach Aussage der Eltern hatte sie zur Zeit keinen festen Freund, und in ihrem Wohnblock kann sich niemand erinnern, je Herrenbesuch bei ihr gesehen zu haben. Sie ist bloß ein braves, fleißiges katholisches Mädchen.«
    Moore betrachtete die Handgelenke des Opfers. »Sie war gefesselt.«
    »Ja.
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