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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin
Autoren: Anjali Banerjee
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umgeben … Der Stil erscheint mir bekannt. Ich muss das Buch von einem Fachmann begutachten lassen.
    Ich schlage in den Gelben Seiten Antiquariate nach. Beim dritten Anruf habe ich einen heiseren Mann am Apparat, der sich offenbar mit alten Büchern auskennt. » Wie lautet der Titel, sagten Sie?«, fragt er mit vor Aufregung zitternder Stimme.
    Ich lese ihm den Titel vor.
    » Und wo haben Sie es entdeckt?«
    Ich erkläre es ihm.
    » Könnten Sie mir vorlesen, was auf der ersten Seite steht?«
    Vorsichtig schlage ich das Buch auf. » Vorwort«, lese ich. » Der Großteil der Gedichte in diesem schmalen Band entstand in den Jahren 1821-1822, noch ehe der Autor sein vierzehntes Lebensjahr vollendet hatte…«
    » Ich werde einen Experten hinzuziehen. Könnten Sie mir das Buch gleich vorbeibringen? Und gehen Sie sehr vorsichtig damit um.«
    Ich hänge auf und schaue auf die Uhr. Ich werde die Sitzung verpassen. Dennoch stecke ich das Buch in meine Handtasche, verlasse das Büro und knipse im Gehen noch das Licht aus.

Kapitel 42

    A
m Donnerstagnachmittag gehe ich auf Shelter Island von Bord der Fähre. Ein kräftiger Novemberwind schiebt mich die Harborside Road entlang zum Buchladen. Ich fühle mich leichtfüßig, als vertraute Stätten an mir vorbeigleiten. Ich kann es kaum erwarten, meiner Tante zu erzählen, was ich herausgefunden habe.
    Sie erwartet mich in einem roten Sari und einem Pullover mit Nikolausmotiv in der Tür des Buchladens und umarmt mich. » Bippy, komm schnell rein.« Ihre Miene ist ernst und angespannt.
    » Was ist los?«
    » Große Schwierigkeiten.« Sie zieht mich ins Haus, wo mir der tröstende Geruch von Staub, Mottenkugeln und vertrautem Duftpotpourri entgegenschlägt.
    » Was für Schwierigkeiten? Was ist passiert?«
    » Wir haben ein Problem. Oh, Ganesh.«
    » Was für ein Problem?«
    Lucia, Virginia, Tony und Mohan sitzen im Salon. Eine kräftig gebaute blonde Polizistin in blauer Uniform läuft auf den knarzenden Dielen hin und her.
    » Die Polizei in Fairport?«, wundere ich mich. » Was ist hier los?«
    » Officer Flannigan«, stellt sich die blonde Frau vor und schüttelt mir die Hand mit Schraubstockgriff.
    » Jasmine Mistry.« Ich lasse die Hand los und bewege meine Finger. » Könnte mir jemand mal erzählen, was hier gespielt wird?«
    » Er ist spurlos verschwunden«, antwortet Mohan und zerknüllt ein Taschentuch in der Faust.
    » Wer?«, frage ich. » Wer ist verschwunden?« Ist Sanchita etwa zurückgekommen und wieder fortgelaufen?
    » Vishnu. Wir haben ihn überall gesucht. Gerade war er noch da.« Mohan putzt sich die Nase. Virginia klopft ihm auf den Rücken. Lucia schenkt eine Tasse Tee ein und reicht sie ihm.
    » Wann?«, hake ich nach. » Was ist geschehen?«
    Officer Flannigan tritt hinaus auf den Flur, um einen Anruf entgegenzunehmen.
    » Heute Morgen sind wir zur Vorlesestunde gekommen«, erklärt Mohan.
    Die Tante setzt sich neben ihn. » Vishnu gefällt es nicht ohne dich. Als ich zu lesen angefangen habe, hat er geschmollt. Und dann war er auf einmal weg.«
    » Habt ihr auch wirklich überall nachgeschaut?« Ich hätte Vishnu die Situation erklären und mich von ihm verabschieden sollen. Schließlich hat er bereits seine Mutter verloren.
    Meine Tante nickt. » Wir haben in allen Zimmern nachgesehen. Und die Straßen haben wir auch abgesucht.«
    Mohan krampft die Finger ineinander, sodass sich die Knöchel weiß verfärben. » Er wurde in letzter Zeit immer bedrückter.«
    » Wie lange ist er schon verschwunden?«, erkundige ich mich.
    » Seit zwei Stunden«, erwidert Lucia. » Niemand hat ihn beim Verlassen des Ladens beobachtet. Er saß in der Kinderbuchabteilung, und im nächsten Moment war er weg. Er hat Dr. Seuss gelesen.«
    » Moment mal«, sage ich. » Dr. Seuss? In der Kinderbuchabteilung?«
    Lucia nickt. » The Cat in the Hat.«
    Ich war in Vishnus Alter, als ich, mit genau diesem Buch unter dem Arm, den Flur entlanggelaufen war. Als ich auf eine bestimmte Stelle an der Wand drückte, ging unter der Treppe eine Tür auf. Ich bin in den kleinen Raum gekrochen, habe mich auf einen Stapel alter Kisten gesetzt und habe Licht gemacht, damit ich in Ruhe lesen und staunen konnte. Die Sonne schien nicht, und es war zu nass zum Spielen …
    Damals hat Dr. Seuss zu mir gesprochen.
    » Kommt mit.« Ich gehe voraus in den Flur und bleibe vor dem Stauraum unter der Treppe stehen. Die Geheimtür ist in der Holzvertäfelung nicht zu sehen.
    » Was tun wir hier?«, fragt
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