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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin
Autoren: Anjali Banerjee
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Mohan. » Glaubst du, Vishnu ist in der Wand verschwunden?«
    Als ich auf eine Kante der Tür drücke, schwingt sie auf.
    Lucia ringt nach Luft und weicht zurück. Meine Tante lacht. » Oh, Ganesh«, sagt sie.
    » Vishnu?«, rufe ich in die Dunkelheit.
    Erst geschieht nichts. Doch dann erscheint ganz langsam Vishnus Gesicht im Licht der nackten Glühbirne, die an der Decke des Stauraums hängt. Einen Moment lang ist er genauso, wie ich als Kind war.
    » Ich wusste, dass ich dich hier finden würde«, stelle ich fest.
    » Du bist zurückgekommen«, antwortet er.
    Er klettert, ein Buch unter den Arm geklemmt, heraus. Eine Spinnwebe hat sich in seinem Haar verfangen.
    Mohan greift nach seiner Hand. » Tu das nie mehr wieder. Du hast uns allen Angst eingejagt.«
    » Entschuldige, Dad. Ich brauchte eine Auszeit.«
    » Auszeit!« Mohan lacht.
    Meine Tante schüttelt den Kopf. » Wir haben gar nicht daran gedacht, hier nachzusehen. Ich hatte das Versteck ganz vergessen.«
    » Ich nicht«, sage ich.
    » Gut gemacht, Mädchen!«, lässt sich Tony, der hinter den anderen steht, vernehmen.
    Wir gehen zusammen in die Vorhalle, und nachdem alle– bis auf Tony, meine Tante und ich– fort sind, hole ich Tamerlane und andere Gedichte aus meiner Handtasche. Ich habe den schmalen Band in Plastik gehüllt. » Eine Überraschung für dich«, sage ich zu meiner Tante.
    » Das Buch von dem Bostoner,«, bemerkt Tony.
    » Was ist das?«, fragt meine Tante.
    » Es ist nicht von einem Bostoner«, antworte ich. » Sondern von Edgar Allan Poe.«
    » Poe!«, ruft meine Tante aus.
    » Wer?«, erkundigt sich Tony.
    » Das ist eine sehr seltene Ausgabe«, erkläre ich. » Connor hat sie mir geschenkt. Poe hat diese Gedichte ganz am Anfang seiner Laufbahn geschrieben, sodass sie niemand zur Kenntnis genommen hat. Bis 1876 galt die Auflage als verschollen, bis man ein Exemplar im British Museum entdeckt hat. Inzwischen weiß man von zwölf existierenden Exemplaren, und das hier ist eines davon.«
    Meine Tante hält die Luft an. » Nur zwölf!«
    Tony starrt mich an. » Jasmine, Connor hat dir das Buch aus einem bestimmten Grund gegeben.«
    » Ich habe mir bestätigen lassen, dass es echt ist«, erwidere ich. » Bei einer Auktion könnte dieses kleine, alte Buch über zweihunderttausend Dollar einbringen.«
    Tante Ruma stützt sich schwer atmend auf eine Stuhllehne, als könnte sie gleich in Ohnmacht fallen. » Oh, Ganesh.«
    » Nicht zu glauben«, sagt Tony und stößt einen leisen Pfiff aus.
    » Siehst du, Tante, also müssen wir den Buchladen in nächster Zeit nicht verkaufen.«
    » Nein, müssen wir nicht.« Sie schlägt die Hand vor die Stirn.
    Als ich auf das Display meines Mobiltelefons schaue, ist da Poes Gesicht– breite Stirn, Schnurrbart, zerzaustes Haar. Er lächelt mir zu.
    » Danke«, flüstere ich.
    » Ich habe nur eine einzige Hoffnung«, antwortet er. » Ich wünschte, ich könnte so geheimnisvoll schreiben wie eine Katze.«

Kapitel 43

    M
eine Tante steht auf der Schwelle des Buchladens, den sie so lange Jahre gehegt und gepflegt hat. Prächtig in einen violett bedruckten Sari und einen nicht dazu passenden Pulli mit Schneemannmotiv gewandet, stemmt sie sich gegen den Wind und winkt der Menschenmenge im Garten zu. Halb Newport hat dem stürmischen Wetter getrotzt, um sich von ihr zu verabschieden.
    Ruhig, geduldig und makellos elegant, wartet Subhas neben der schwarzen Limousine, die er in Seattle gemietet hat, um seine Braut zur Fähre und zum Flughafen zu bringen. Warum nicht im Luxus abreisen?, hat er gesagt. Vier gewaltige Koffer lassen den Kofferraum absacken. Ma, Dad und Gita sitzen bereits auf der Rückbank und bedienen sich wahrscheinlich an der Bordbar.
    Ich bleibe, wo ich hingehöre. Wenn ich zu lange fortbleibe, bekommt der Buchladen schlechte Laune. Meine Tante hat mir viele ihrer Antiquitäten zurückgelassen. Kleinere Gegenstände sind auf dem Seeweg nach Indien gebracht worden.
    Auf der Abschiedsfeier gestern Abend im Salon haben die Inselbewohner die Frau hochleben lassen, die ihnen so oft geholfen hat, indem sie ihnen auf wundersame Weise genau das Buch empfohlen hat, dem sie Heilung oder Veränderungen in ihrem Leben verdanken. Meine Tante hat sich dafür bedankt, dass sie ihren Buchladen unterstützt und ihr Grund zum Feiern gegeben haben. Dann hat sie mich als ihre Nachfolgerin vorgestellt und allen versichert, dass ich den Laden in ihrem Sinne weiterführen werde.
    » Lassen Sie sich von dem Namenswechsel
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