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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin
Autoren: Anjali Banerjee
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kennenlernen, bevor du mit Ratschlägen um dich wirfst.« Sie sammelt die alten Bücher ein. Hinter uns rutscht ein dünner Band aus dem Regal und landet mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden . Den Wohnraum umgestalten. » Ach, hör auf zu meckern«, sagt sie zu dem Buch und steckt es zurück ins Regal.
    Ich folge ihr in die Klassikerabteilung und helfe ihr, die Bücher wieder ins Regal zu räumen. » Und die Ausstellungsfläche im Salon…«
    »… ist für die neueren Bücher.«
    » Und sortierst du sie nach Titel oder nach…«
    »… Autor. Andere häufige Fragen: Führen Sie Briefmarken? Haben Sie einen Fotokopierer? Gibt es bei Ihnen Internetanschluss? Nein, nein und nein.«
    » Aber warum denn nicht? Das Internet würde mehr Kundschaft anlocken. Du könntest auch ein kleines Café aufmachen.«
    » Die Toilette ist auf dem Flur«, spricht sie weiter, ohne auf meinen Vorschlag einzugehen. » Und dann wollen sie wissen, ob ich ihnen einen Rabatt einräume, weil sie so viel Geld ausgegeben haben. Oh, Ganesh.«
    » Es werden doch sicher nicht viele Leute solche Fragen stellen. Dein Laden liegt schließlich so weit abseits.« Und das Wetter ist miserabel.
    » Abseits! Ich habe die beste Adresse am Ort. Die Menschen können ohne meinen Buchladen nicht leben.«
    Nicht leben? Sie ist die Königin der Übertreibung. Ich folge ihr in die Literaturabteilung, wo der Staub dick auf den Fensterbrettern liegt. Sie sucht einige Hardcoverbände heraus, die sie im Schaufenster drapiert.
    » So, jetzt ist alles wieder beim Alten«, verkündet sie.
    » Schaust du in die Bestsellerlisten? Soweit ich informiert bin, haben die unabhängigen Buchläden ihre eigenen…«
    » Das hier ist kein gewöhnlicher Buchladen. Manchmal bemerke ich beim Aufwachen, dass die Bücher sich bewegt haben. Manche hierhin, manche dorthin…«
    » Wer bewegt sie? Tony? Die Kunden?«
    » Keine Ahnung. Vielleicht jemand, der sich wünscht, dass die Klassiker nicht in Vergessenheit geraten. Der Übeltäter hat ganz verschiedene Autoren ins Schaufenster gelegt, damit ich nicht dahinterkomme, wer es war. Jetzt komm. Ich zeige dir alles, und dann trinken wir Tee.« Ich habe keine Zeit für Tee. Ich brauche einen Espresso. » Passiert das öfter?«, frage ich, während ich hinter ihr her den Flur hinuntertrotte.
    » Ab und zu«, antwortet meine Tante. » Dies und das. Vergessene Gegenstände. Menschen, die auftauchen und wieder verschwinden. Männer, die den ganzen Tag hier schlafen, was für eine Frechheit.« Als sie mir die Wange tätschelt, fühlen sich ihre knorrigen Finger auf meiner Haut an wie trockenes Laub. » Apropos Frechheit: Was ist denn aus diesem Misthaufen geworden, den du deinen Ex nennst?«
    Beim Wort Ex fängt mein Herz an zu klopfen. » Leider muss ich mich noch mit ihm auseinandersetzen. Wir verkaufen die Eigentumswohnung.«
    » Konntest du sie nicht behalten?«
    » Alleine kann ich mir die Raten nicht leisten.« Kein sonnenbeschienener Parkettboden mehr. Keine gemütlichen Mahlzeiten in der Frühstücksecke. Keine Sonnenuntergänge draußen, während Robert die Arme um mich schließt. » Verrate Ma und Dad nichts.«
    » Ich werde schweigen wie ein Grab«, erwidert meine Tante und umarmt mich. » Aber ich mache mir Sorgen um dich.«
    » Mir geht es gut, wenn man davon absieht, dass die Scheidung mich mein ganzes Geld gekostet hat.« Ich sollte meinen letzten Kontoauszug einrahmen und den nahe bei null liegenden Kontostand mit Markierstift hervorheben.
    » Brauchst du etwas?«
    » Nein, nein, das wird schon wieder.« Ich bekomme einen Kloß im Hals. Als ich sie wieder umarme, vertreibt ihre Wärme all meine Ängste.
    » Hier wirst du Robert vergessen. Die Schriftsteller werden dir dabei helfen.« Sie deutet auf die gerahmten Drucke an der Wand, Bleistift- und Tuschezeichnungen, die berühmte Autoren darstellen: Charles Dickens. Laura Ingalls Wilder.
    Ich verkneife mir ein Lachen. Meine Tante war schon immer exzentrisch.
    » Die Schriftsteller werden dir helfen«, wiederholt sie. » Ihre Sprache. Der Mann mit der hohen Stirn da ist Edgar Allan Poe. Und das da ist natürlich Jane Austen. Es ist die einzig erhalten gebliebene Zeichnung von ihr, eine Reproduktion.«
    » Sie sieht so jung und unscheinbar aus.« Ich berühre ihre Wange auf rauer Leinwand. Janes Augen scheinen mir durch die Jahrhunderte hindurch zu folgen.
    » Sprich nicht schlecht über die Toten.« Meine Tante blickt sich um, als könnte Jane Austen jeden Moment aus einer Ecke
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