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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin
Autoren: Anjali Banerjee
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mich jemals von Faulkners Stein trennen?«, fragt sie und deutet mit dem Finger darauf. » Oder von Kiplings Holzschachtel? Das sind seltene Schätze, die man aufbewahren muss. Und jetzt komm mit.« Sie schleift mich in eine offene Teeküche, wo sich seit Jahrzehnten nichts geändert hat. An der einen Wand verläuft eine Arbeitsfläche mit zwei Kochplatten. Außerdem stehen hier ein winziger Kühlschrank, Unterschränke, Sessel und Sofas.
    » Für meine Kunden«, erklärt die Tante. » So bleiben sie länger.«
    Es ist niemand da. Sie bräuchte unbedingt neue Sofas anstelle dieser abgewetzten Ungetüme aus dem Gebrauchtwarenladen. Außerdem muss eine Espressomaschine her. Und an die Wände gehören gut gefüllte Bücherregale. Sie sollte auch Kaffeebecher mit ihrem Logo, Lesezeichen und Leselampen verkaufen.
    Sie schenkt zwei Tassen Tee aus einer Metallkanne ein und weist auf zwei blaue Polstersessel. Ich nehme den mit der durchgesessenen Sitzfläche. Meine Tante lässt sich mir gegenüber nieder, streift die flachen Sandalen ab und bewegt ihre gichtigen Zehen. Ihre Zehennägel sind silbern lackiert. Nach dem ersten Schluck verzieht sie ihr Gesicht, als ob der Tee bitter schmecken würde. » Ich fürchte, ich hinterlasse dir ein ziemliches Tohuwabohu. Du hast doch ein Händchen für Zahlen. Könntest du nicht für immer bleiben und alles in Ordnung bringen?«
    » Ich habe einen Job, schon vergessen? Gleich nach meiner Rückkehr nach L. A. habe ich eine wichtige Präsentation bei einem potenziellen Kunden.« Meine Karriere hängt davon ab. Ich bin jetzt wieder solo. Und pleite. Außerdem muss ich an meine Zukunft denken.
    » Oh.« Die Miene meiner Tante verdüstert sich. Als sie auf die Armlehne ihres Sessels klopft, klimpert der Schmuck an ihren Handgelenken– ein schrilles Konzert von Gold, Silber und bemalten Armreifen aus Kaschmir.
    » Es fehlt dir doch hoffentlich nichts?«, frage ich. » Es wird dir doch nichts Schlimmes passieren?«
    Die Tante tätschelt meine Hand. » Keine Sorge, Bippy. Deine alte Tante wird gesund und munter wiederkommen.«
    » Oh, gut.« Ich atme erleichtert auf. Obwohl ich wissen will, was sie hat, bedränge ich sie nicht. Denn wenn meine Tante sich unter Druck gesetzt fühlt, macht sie zu wie eine Blume, die nachts ihre Blüte schließt. » Du erklärst mir sicher alles, bevor du abreist, oder?«
    » Das wollte ich dir noch sagen. Mein Flug geht morgen früh.«
    Ich ersticke fast an meinem Tee. » So bald?«
    » Tony wird dir helfen. Ein interessanter Mensch, findest du nicht?«
    » Tony?«
    » Außerdem werde ich eine Weile nicht erreichbar sein. Ich nehme kein Mobiltelefon mit. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie diese dämlichen Dinger funktionieren. Aber das macht nichts, da man hier sowieso keinen Empfang hat.«
    » Woher weiß ich dann, ob bei dir alles in Ordnung ist?«
    » Schau nicht so besorgt.« Meine Tante nestelt an ihren Armreifen herum. » Ich muss in Indien mein Herz in Ordnung bringen lassen.«
    » Dein Herz?« Ich greife nach ihren Händen. Meine liebste Tante, die schon so lange allein lebt und sich so für alle anderen krummgeschuftet hat, hat Herzbeschwerden. » Davon wusste ich überhaupt nichts. Das tut mir so leid.«
    Sie hält sich die Teetasse an die Brust. » Ich bin in letzter Zeit immer so müde. Aber jetzt werde ich bald wieder ganz gesund.«
    » Kannst du das nicht hier behandeln lassen?«
    » Es kann nur in Indien geschehen. Ich muss nach Hause.«
    » Wenn du dir so sicher bist…«
    » Verrate es niemandem. Es ist mein Geheimnis. Ich will nicht, dass deine Ma und dein Dad Angst um mich haben.«
    » Und wenn…?«
    » Mir wird nichts passieren. Versprich es mir.«
    Ich seufze auf. » Ich werde schweigen. Aber halte mich auf dem Laufenden.«
    Sie drückt meine Finger. » Zuerst muss ich meine Familie besuchen. Und dann, nun… wahrscheinlich bin ich in einem Monat zurück.«
    Ich nehme ihre Hand und drücke sie an meine Wange. » Ich liebe dich. Bitte pass auf dich auf.«
    Sie küsst mich auf die Stirn. » Danke, dass du bereit warst, herzukommen und Tony im Laden zu helfen. Er ist zwar tüchtig und hat Erfahrung, aber ich brauche deine besonderen Talente.«
    Ich habe zwar keine besonderen Talente, werde meine Tante jedoch gerne unterstützen, während sie sich um ihre Herzbeschwerden kümmert. » Ich lasse dich nicht im Stich.«
    » Du musst versuchen, hier dein Glück zu finden.«
    Ich lache spöttisch auf. » Ich achte auf deinen Laden. Von Glück war
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