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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin
Autoren: Anjali Banerjee
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testosterongesteuert und glauben, dass sie jede Frau haben können, die ihnen gefällt. Aber mich kriegt niemand mehr. Niemals wieder. Ich muss unbedingt im Büro anrufen, um sicherzugehen, dass die Firma nicht noch jemanden gefeuert hat. Schließlich liegt mir viel daran, an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren.
    Nachdem ich den Mantel in den Garderobenschrank gehängt habe, gehe ich in das vollgestellte Zimmer rechts von mir, wo ich mein BlackBerry in alle Richtungen halte. Ich versuche es erst in einem Gang, dann im nächsten. Kein Empfang.
    Aus dem Gang mit den Geschichtsbüchern, der die Aufschrift ZWEITER WELTKRIEG trägt, dringt lautes Schnarchen. Ein bärtiger Mann ist in einem Lehnsessel eingeschlafen– ein Buch über Kriegsschiffe liegt aufgeschlagen auf seiner Brust. Erstaunlich, wie viel Zeit manche Menschen haben. Schlafen und lesen. Müssen die denn nicht arbeiten? Oder ihre E-Mails abfragen?
    » Bippy, meine Lieblingsnichte!«, höre ich meine Tante hinter mir ausrufen. Ihre Stimme ist viel lauter, als ihre Körpergröße vermuten lässt. Sie spricht mich immer noch mit meinem Kosenamen aus Kleinkindertagen an.
    » Tante!« Während ich herumwirbele, läuft sie mir mit ausgestreckten Armen entgegen. Sie ist so lebhaft wie ein junges Mädchen, auch wenn ihr schlohweißes Haar, ihr faltiges Gesicht und die Gleitsichtbrille mit dem silbernen Gestell ihr wahres Alter verraten. Ihr Wollpullover mit den aufgestickten Rentieren beißt sich mit dem grünen Chiffonsari. Von ihrer geheimnisvollen Krankheit ist nichts zu sehen.
    » Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?« Sie schließt mich in die Arme und hüllt mich in ihren ganz eigenen würzigen Geruch ein, den Duft meiner Tante, unterlegt mit einem Hauch Pond’s Cold Cream. Kindheitserinnerungen strömen auf mich ein. Meine Tante, wie sie Blumenkohlcurry und mishti dor, eine Nachspeise auf Joghurtbasis, macht und mir nagelneue Ausgaben von Curious George und Pu der Bär schenkt… Habe ich diese albernen Bücher damals wirklich gelesen?
    Ich schaue ihr in die Augen und suche nach Anzeichen dafür, dass ihr etwas fehlt. » Ich habe dich gesucht. Wie geht es dir?«
    » Ich schlage mich wacker, den Göttern sei Dank.«
    Der Typ im Lehnsessel schnarcht weiter.
    Ein Mann kommt hereingestürmt und verbreitet eine gereizte Stimmung. Er ist in Herbstfarben gekleidet. Sein schwarzes Haar ist sorgfältig frisiert und geölt. Vermutlich verbringt er jeden Morgen eine Stunde vor dem Spiegel, um jedes Härchen zurechtzuzupfen. Er strahlt einen aristokratischen, eleganten Charme aus. Seine Gesichtszüge sind so abgerundet, als hätte das Wetter sie weich geschliffen.
    » Ruma, das Schaufenster ist schon wieder völlig durcheinander, und ich habe das Aufräumen langsam satt.« Kopfschüttelnd betrachtet er den Schnarcher. » Die Wochenendkrieger fangen immer früher an. Wir haben doch erst Montag.«
    » Wochenendkrieger?«, wiederhole ich.
    Der Mann betrachtet mich. » Leute, die nur zum Rumsitzen und Schlafen hier aufkreuzen.«
    » Hoffentlich sind es nicht allzu viele.«
    » Wo kommst du denn her, Schätzchen?« Er mustert mich von Kopf bis Fuß. » Ach ja, du musst Jasmine sein.«
    » Nett, dich kennenzulernen«, sage ich und frage mich dabei, was meine Tante ihm wohl über mich erzählt hat.
    » Das ist Tony«, verkündet meine Tante. » Du wirst mit ihm zusammenarbeiten, während ich weg bin.«
    Ich lächle, um das Flattern in meinem Magen zu verbergen. » Ich freue mich schon darauf«, antworte ich höflich.
    Tony schüttelt mir so fest die Hand, dass er mir beinahe die Knochen bricht. » Also ziehst du hier ein.«
    Ich lasse seine Hand los. » Ich bin nur zu Besuch hier. Übernachten werde ich bei meinen Eltern ein paar Straßen weiter.«
    Tonys Lippen formen sich zu einem O. » Oh, nein, das wirst du nicht tun. Du musst die Stellung hier halten, und das heißt, dass du in diesem Haus wohnst.«
    Ich wende mich an meine Tante. » Meint er das ernst?«
    » Natürlich. Das ist ein Teil der Abmachung. Du musst auch auf das Haus aufpassen.«
    » Das geht nicht. Die Nächte werde ich bei Ma und Dad im Gästezimmer verbringen. Ich brauche einen Schreibtisch zum Arbeiten. Deine Mansardenwohnung ist viel zu klein.«
    » Aber sie ist der schönste Teil des Hauses.«
    » Ma hat das Gästezimmer schon hergerichtet. Dort habe ich jede Menge Platz.«
    » Kommt nicht in Frage. Du musst hier sein, falls die Toiletten Mätzchen machen.«
    » Die Toiletten? Ich bin doch keine
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