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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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schreiben zu können, aber ich wollte es nicht tun, solange ich das Problem nicht gelöst hatte, das mir zu einer Obsession geworden war.
    Im Sommer 2000, wieder auf dem Lande, gelang es mir dann Mitte Juni, »die Klippe zu umschiffen«. 1995 hatte ich angefangen, an den Roman zu denken, ich hatte fünf Jahre gebraucht, um bis zur Mitte zu gelangen, also würde ich - sagte ich mir - nun noch weitere fünf Jahre brauchen, um ihn zu beenden.
    Doch offenbar hatte ich die zweite Hälfte in jenen ersten fünf Jahren so intensiv bedacht, daß alles schon wohlgeordnet in meinem Kopf (oder Herz oder Bauch, was weiß ich) bereitlag. Kurz gesagt, zwischen Mitte Juni und den ersten Augusttagen hat sich das Buch fast von selber zu Ende geschrieben, in einem einzigen Zug (danach gab es noch ein paar Monate mit Kontrollen und Korrekturen, aber im Kern war es fertig, die Geschichte war zu Ende). An diesem Punkt brach ein weiteres meiner Prinzipien zusammen, denn auch ein Aberglaube ist ein Prinzip, so irrational er sein mag: Ich hatte das Buch nicht am 5. Januar beendet.
    Irdgendwas stimmte nicht, dachte ich ein paar Tage lang. Dann, am 8. August, wurde mein erster Enkel geboren. Mit einem Schlag war mir alles klar, diesmal sollte ich den Roman nicht an meinem Geburtstag beenden, sondern an seinem. Ich widmete ihm mein Buch und war wieder beruhigt.
Computer und Schreiben
    Wie hat der Gebrauch des Computers mein Schreiben beeinflußt? Sehr stark im Hinblick auf meine Erfahrung, und ich weiß nicht, wie stark im Hinblick auf die Ergebnisse.
    Nebenbei: Da im Pendel von einem Computer die Rede ist, der Poesie fabriziert und Ereignisse aleatorisch kombiniert, wollten viele Interviewer um jeden Preis von mir hören, daß der ganze Roman am Computer entstanden sei, indem ich ihm ein Programm eingefüttert hätte, mit dem er dann alles ganz von allein habe erfinden können. Wohlgemerkt, es waren lauter Journalisten, die ihre Artikel inzwischen am Computer schrieben, von wo sie direkt zum Druck gingen - sie wußten also, was man von diesem dienstbaren Apparat erwarten konnte. Aber sie wußten auch, wie man für ein Publikum schreibt, das noch eine magische Vorstellung vom Computer hatte, und bekanntlich schreibt man ja häufig nicht, um den Lesern die Wahrheit zu sagen, sondern das, was sie gerne hören.
    Jedenfalls geriet ich an einem bestimmten Punkt in Rage und offenbarte einem von ihnen die magische Formel:
    Erstens braucht man selbstredend einen Computer, der eine intelligente Maschine ist, die für einen denkt - was für viele vorteilhaft wäre. Es genügt ein Programm von wenigen Zeilen, das auch ein Kind schreiben kann. Dann füttert man den Computer mit dem Inhalt einiger hundert Romane, wissenschaftlicher Werke, der Bibel und des Korans sowie etlicher Telefonbücher (sehr nützlich für die Namen der handelnden Personen). Sagen wir rund hundertzwanzigtausend Seiten. Danach randomisiert man das Ganze mit einem anderen Programm, d. h. man verquirlt alle diese Texte miteinander unter Beigabe eines Zusatzbefehls, zum Beispiel der Eliminierung sämtlicher Buchstaben a. So erhält man außer einem Roman auch noch ein Lipogramm. Nun gibt man den Befehl Print, und das Ganze wird ausgedruckt. Da man alle a eliminiert hat, kommen etwas weniger als hundertzwanzigtausend Seiten heraus. Nachdem man sie mehrmals sorgfältig gelesen und die wichtigsten Stellen unterstrichen hat, lädt man sie auf einen Lkw und fährt sie zu einer Müllverbrennungsanlage. Dann setzt man sich mit einem Kohlestift und Fabrianopapier unter einen Baum, läßt die Gedanken schweifen und schreibt zwei Zeilen, zum Beispiel: »Der Mond steht hoch am Himmel / der Wald raschelt und rauscht.« Vielleicht kommt noch nicht gleich ein Roman heraus, sondern bloß ein japanisches Haiku, aber das Entscheidende ist, einmal angefangen zu haben.
    Niemand hatte den Mut, mein Geheimrezept abzudrucken. Aber jemand schrieb: »Man spürt, daß der Roman direkt am Computer geschrieben wurde; abgesehen von der Szene mit der Trompete auf dem Friedhof: Die ist wirklich erlitten, er muß sie mehrmals geschrieben haben, und zwar mit der Hand.« Ich schäme mich, es zu sagen, aber bei diesem Roman, der so viele Schreibphasen durchgemacht hat, bei denen der Kuli, der Bleistift, der Füllfederhalter und zahllose Revisionen ins
    Spiel gekommen waren, ist das einzige Kapitel, das direkt am Computer geschrieben wurde, in einem Zug und ohne viele Korrekturen, genau das mit der Trompete gewesen. Der
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