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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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aber für mich (und einige wohlwollende Leser) von grundlegender Bedeutung war, denn sie erlaubte mir, in Brasilien und mit Amparo in gedrängter Form das geschehen zu lassen, was mit den anderen Personen im Laufe des Romans geschehen sollte. Hätten IBM, Apple oder Olivetti ihre Wordprocessor sechs oder sieben Jahre früher auf den Markt gebracht, wäre mein Roman anders geworden. Brasilien wäre nicht darin vorgekommen, was viele oberflächliche Leser erleichtert hätte, aus meiner Sicht aber ein großer Mangel gewesen wäre.
    Die Konstruktion der Insel des vorigen Tages beruhte auf einer Reihe von historischen Zwängen und ehernen Gesetzen der Romanform. Die historischen Zwänge ergaben sich daraus, daß Roberto als junger Mann an der Belagerung von Casale teilgenommen haben und dann bei Richelieus Tod anwesend sein sollte, also erst nach dem Dezember 1642 auf seine Insel gelangen konnte, aber nicht nach 1643, dem Jahr, in dem Abel Tasman durch jene Gegend der Südsee kam, wenn auch etwas früher im Kalender, als meine Geschichte dort spielte. Aber ich konnte die Geschichte nur in den Monaten Juli und August spielen lassen, denn zu dieser Zeit hatte ich die FidschiInseln gesehen, und ein Segelschiff brauchte mehrere Monate, um dorthin zu gelangen. Das erklärt die romanhaft maliziösen Unterstellungen, die ich im Schlußkapitel mache, um mich und den Leser davon zu überzeugen, daß Abel Tasman vielleicht noch einmal in jenen Archipel zurückgekehrt war, ohne es jemandem erzählt zu haben. Hier kann man sehen, daß Zwänge auch eine heuristische Nützlichkeit haben können, indem sie zur Erfindung von
    Verschwiegenheiten, Komplotten und Ambivalenzen führen.
    Man wird mich nun fragen: Und warum all diese Zwänge? War es denn wirklich notwendig, daß Roberto Richelieus Tod miterlebte? Keineswegs. Aber es war notwendig, daß ich mir Zwänge setzte. Sonst hätte sich die Geschichte nicht entwickeln können.
    Was die Zwänge der Romanform angeht, so sollte Roberto sich auf dem Schiff befinden, es nicht mehr verlassen können und vergeblich versuchen schwimmen zu lernen, um auf die Insel zu gelangen. Unterdessen sollte er, während er über Leben und Tod nachdachte, nach und nach die ganze Philosophie der Epoche erfinden und sie aus Torheit wieder verwerfen. Für einen gutwilligen Leser würde das mehr als nur ein Zwang sein, den ich mir gesetzt hätte, um mich zu stimulieren: Es würde die innerste Essenz des Begehrens sein. Ich wäre der letzte, der das verneinen könnte. Aber da ich hier davon spreche, wie ich geschrieben habe, und nicht, was der Leser in dem von mir Geschriebenen finden sollte oder könnte (denn um dies zu sagen, genügt entweder der Roman so, wie er ist, oder ich hätte besser daran getan, ihn nicht zu schreiben, und der Leser, ihn nicht zu lesen - was nicht auszuschließen ist), will ich hier nur sagen: Einerseits ist es der Zwang, der dem Roman erlaubt, sich gemäß einem Sinn zu entwickeln, und andererseits ist es die noch unklare Vorstellung von diesem Sinn, die Zwänge nahelegt. Da jedoch das eine nicht ohne das andere abgeht, sprechen wir hier von Zwängen und nicht vom Sinn, der nicht zu den Dingen gehört, über die sich der Autor im nachhinein äußern darf.
    Nebenbei: Ein schamloser Zeitungsschmierer, der den Romanautor verhöhnen wollte, um den politisch engagierten Kolumnisten zu treffen, hat geschrieben, der
    Roman sei ein einziger Akt der Masturbation. Bei aller Grobheit (auch in der Wortwahl) hat der Ahnungslose ins Schwarze getroffen: Onanistisch ist zweifellos, und zwar per definitionem, die Lage eines Schiffbrüchigen, der für immer vom Objekt seiner Leidenschaft getrennt ist. Nur hat der Hyliker, den ich hier meine, befangen in seiner eigenen dumpfen Fleischlichkeit Manna vom Himmel fallen sehen und es für Kot von häßlichen Vögeln gehalten. Und nicht das »Mentale« - und letztlich Metaphysische - jener einsamen virtus erfaßt, jenes Versuchs, Sein zu erzeugen durch unkontrolliertes Verstreuen des Samens einer Seele, die aufgrund ihrer Einsamkeit so übererregt ist, daß sie Visionen sieht.
    Aber kommen wir zum Ergo. Ergo durfte Roberto das Schiff nicht verlassen (außer am Ende, aber mit Ungewissem Ziel und noch ungewisserem Ausgang). Ergo konnte alles, was nicht auf dem Schiff geschah, nur im Modus der Rückbesinnung erzählt werden, es sei denn, man verflachte den Plot auf die Fabel und erzählte linear, wie ein junger Mann zuerst nach Casale, dann nach Paris kommt und
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