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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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sich bald über die verbalen Ausschweifungen seines Protagonisten erbost, bald ihnen zum Opfer fällt und sie dann durch Appelle an den Leser abzumildern sucht.
    So haben mir drei verschiedene Welten drei verschiedene »Stilübungen« auferlegt, die dann im Laufe des Schreibens zu drei verschiedenen Denk- und Sehweisen wurden, in denen ich mich so selbstverständlich bewegte, daß ich versucht war, selbst meine Alltagserfahrungen während dieser Zeiten in ihre Begriffe zu übersetzen.
Die Ausnahme Baudolino
    Bisher habe ich gesagt, daß man a) von einer IdeenKeimzelle ausgeht und daß b) die Konstruktion der Welt den Stil determiniert. Meine letzte erzählerische Erfahrung, Baudolino, scheint diese beiden Prinzipien zu widerlegen. Was die Ideen-Keimzelle angeht, so hatte ich mindestens zwei Jahre lang viele davon, und wenn man zu viele Ideen-Keimzellen hat, ist das ein Zeichen dafür, daß sie keine Keimzellen sind. Tatsächlich hat jede von ihnen nur einzelne, auf wenige Kapitel begrenzte Situationen erbracht, nicht die Gesamtstruktur des Romans.
    Die erste Idee verrate ich nicht, denn ich habe sie aufgegeben - aus verschiedenen Gründen, vor allem weil es mir nicht gelungen ist, sie zu entwickeln -, und womöglich reserviere ich sie mir, wer weiß, für einen fünften Roman. Sie wurde jedoch von einer anderen begleitet, die sich auf den Topos des Mordes in einem geschlossenen Raum reduzieren läßt, und wie man sieht, wenn man den Roman liest, habe ich diesen Topos nur für das Kapitel über Friedrichs Tod verwendet.
    Die zweite Idee war, daß die Schlußszene zwischen den mumifizierten Leichen in der Kapuzinergruft von Palermo spielen sollte (tatsächlich war ich mehrmals dorthin gegangen und hatte mir zahlreiche Fotos der Örtlichkeit und einzelner Mumien gemacht). Wer den Roman gelesen hat, weiß, daß diese Idee für den Showdown zwischen Baudolino und dem Poeten benutzt worden ist, aber in der Ökonomie des Romans hat sie nur eine marginale Funktion, eine rein szenographische, würde ich sagen.
    Die dritte Idee war, daß es in dem Roman um eine Gruppe von Personen gehen sollte, die Fälschungen fabrizieren. Mit der Semiotik des Falschen und der
    Fälschung hatte ich mich schon einige Male beschäftigt. 6 Ursprünglich sollten diese Personen Zeitgenossen sein, die eine Tageszeitung gründen wollen und in einer Reihe von Nullnummern ausprobieren, wie man Sensationsmeldungen »kreieren« kann. Tatsächlich schwebte mir für den Roman der Titel Nullnummer vor. Aber auch hier gab es etwas, das mich nicht überzeugte, und ich fürchtete, am Ende dasselbe Personal wie im Foucaultschen Pendel vor mir zu haben.
    Bis mir schließlich einfiel, was eine der schönsten Fälschungen in der ganzen abendländischen Geschichte gewesen war, nämlich der Brief des Priesters Johannes. Diese Idee weckte eine Reihe von Erinnerungen und Lektüreerfahrungen. So hatte ich 1960 für Bompiani die italienische Ausgabe des Buches Lands Beyond von W. Ley und L. Sprague De Camp betreut. 7 Darin gab es natürlich auch ein Kapitel über das Reich des Priesters Johannes und ein anderes über die verstreuten Stämme Israels. Auf den Umschlag hatten wir einen Skiapoden gesetzt (einen Stich aus dem 15. Jahrhundert, wenn ich mich recht erinnere, mit fingierter Kolorierung au pochoir). Jahre später hatte ich mir eine farbige Karte aus einem zerlegten Ortelius gekauft, die das Reich des Priesters Johannes zeigte, und hatte sie mir an die Wand meines Arbeitszimmers gehängt. In den achtziger Jahren hatte ich dann verschiedene Versionen des Briefes gelesen. Kurzum, der Priester Johannes war mir nicht aus dem Kopf gegangen, und mich reizte der Gedanke, die Monster, die sein Reich bevölkerten, sowie die anderen, die in den diversen Alexanderromanen, in den Reisen von Mandeville und einer Reihe von Bestiarien erwähnt werden, als Romanfiguren zum Leben zu erwecken. Überdies bot sich damit eine schöne Gelegenheit, in mein geliebtes Mittelalter zurückzukehren. Infolgedessen war meine wahre Keim-Idee die des Priesters Johannes. Aber ich war nicht von ihr ausgegangen, sondern nach einigen Umwegen bei ihr angelangt.
    Vielleicht hätte mir das alles noch nicht genügt, wäre der Brief nicht - dies ist eine der möglichen Hypothesen über seinen Ursprung - der Kanzlei des Staufenkaisers Friedrich Barbarossa zugeschrieben worden. Dieser nämlich war für mich ein weiterer magischer Name, da ich aus Alessandria stamme, der Stadt, die eigens gegründet worden
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