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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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sich, unabhängig von der Geschichte, die man in ihr geschehen lassen will. Diese »kosmogonische« Phase geht eng einher (in einem Maße, das ich beim besten Willen nicht auf eine Formel oder ein Programm zurückführen könnte) mit einer Hypothese über die Grundstruktur des Romans sowie der Welt, die man errichtet. Und diese Struktur besteht im wesentlichen aus Zwängen und Zeitvorgaben.
    Zwänge sind von grundlegender Bedeutung für jede künstlerische Operation. Einen Zwang wählt der Maler, der beschließt, lieber Öl- als Temperafarben zu nehmen und lieber auf Leinwand als auf frischen Putz zu malen; der Musiker, der sich für eine Grundtonart entscheidet (danach kann er modulieren und modulieren, aber am Ende muß er zu ihr zurück); der Dichter, der sich den Käfig des Endreims oder eines Versmaßes baut. Und man glaube nicht, daß der avantgardistische Maler, Musiker oder Dichter - der gerade diese Zwänge zu vermeiden scheint - sich nicht andere Zwänge errichtet. Er tut es, nur ist nicht gesagt, daß wir es bemerken sollen.
    Es kann ein Zwang sein, als Schema für die Abfolge der Ereignisse das der sieben Posaunen der Apokalypse zu nehmen. Aber auch, die Geschichte auf ein bestimmtes Datum zu legen, denn manches kann man da geschehen lassen und anderes nicht. Es kann ein Zwang sein zu beschließen, daß im Foucaultschen Pendel, um den magischen Leidenschaften der Personen entgegenzukommen, die Zahl der Kapitel 120 sein muß, keins mehr und keins weniger, und die der Hauptteile zehn, wie die zehn Sefiroth der Kabbala.
    Die Zwänge bestimmen auch mehr und mehr eine Zeitstruktur. Im Namen der Rose konnte, wenn man sich an die Abfolge in der Apokalypse halten mußte, die Zeit des Plots (abzüglich langer Einschübe) mit der Zeit der Fabel zusammenfallen: Die Geschichte beginnt mit der Ankunft von William und Adson in der Abtei und endet mit ihrer Abreise. Leicht (auch zu lesen).
    Beim Foucaultschen Pendel zwang mich gerade die Schwingbewegung des titelgebenden Apparats zu einer anderen Zeitstruktur. Casaubon kommt eines Abends ins Conservatoire, versteckt sich dort und ruft sich die vergangenen Geschehnisse in Erinnerung, dann kehrt die Geschichte zum Anfang zurück und so weiter. Hatte ich mir für den Namen der Rose eine Art Stundenplan oder Kalender angelegt, um Tag für Tag festzulegen, was alles im Laufe einer Woche geschehen sollte, so war es beim Foucaultschen Pendel eine Art Höhenmesser, der die Rückgriffe in die Vergangenheit und die Vorgriffe in die Zukunft registrierte. Wie ein graduierter Meßstab oder rechtwinklige Koordinatenachsen. Der Protagonist befindet sich jetzt hier, aber er ruft sich in Erinnerung, was in einem bestimmten Moment der Vergangenheit geschah.
    Das Schöne an solchen Schemata ist, daß sie zwar ehern aussehen, wenn man jedes für sich betrachtet, aber ich habe Schubladen voller Schemata, die ich im gleichen Maße, wie der Roman vorankam, immer neu gezeichnet hatte. Mit anderen Worten, das Schöne an der Sache ist: Einerseits muß man sich Zwänge schaffen, andererseits muß man sich frei fühlen, sie im Laufe der Arbeit zu ändern. Allerdings muß man dann alles ändern und wieder von vorn beginnen.
    Einer der Zwänge im Foucaultschen Pendel war, daß die Protagonisten das Jahr 1968 erlebt haben sollten, aber da Belbo dann seine files am Computer schreibt (der in der ganzen Geschichte auch eine formale Rolle spielt, indem er ihre aleatorische und kombinatorische Natur inspiriert), durften die letzten Ereignisse erst zwischen 1983 und 1984 stattfinden, nicht vorher. Der Grund ist sehr einfach: Die ersten Personalcomputer mit Schreibprogramm sind in Italien 1983 (frühestens 1982) auf den Markt gekommen. Und dies ist auch die Antwort an alle, die immer wieder behaupten, der Name der Rose sei am Computer geschrieben worden und damit erkläre sich sein Erfolg. 1978 - 79 kamen in Amerika gerade die ersten Home-computerchen auf den Markt, die sich Tandy nannten und mit denen man kaum mehr als einen Brief zu schreiben gewagt hätte.
    Um nun jedoch die lange Zeit von 1968 bis 1983 mit irgend etwas zu füllen, war ich gezwungen, Casaubon anderswohin zu schicken. Wohin? Meine Erinnerungen an magische Riten, denen ich einmal in den siebziger Jahren am Rande von Sao Paulo beigewohnt hatte 9 , führten mich nach Brasilien (da wußte ich, wovon ich sprach und welche Form jene Welt hatte). Das war der Grund und glückliche Ursprung jener Abschweifung, die vielen als zu lang erschien, die
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