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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Autoren: Patrick Graham
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    »Maria?«
    »Ich schlafe nicht, ich träume, dass ich nicht schlafe.«
    Special Agent Maria Parks hat die Augen geschlossen. Auf einem großen Diwan ausgestreckt atmet sie den Geruch nach Holz und Zigarre ein, der den Raum erfüllt. Draußen, auf der Terrasse der Villa, spielen Kinder. Die großen Fenster sind mit Verdunkelungsfolie bespannt. Von weiter her hört Maria das Geräusch von Hupen und Polizeisirenen. Es sind die Geräusche der Stadt Rio de Janeiro, das von Menschen erzeugte unaufhörliche Getöse. Sie nimmt den geruhsamen Atem der Villa in sich auf. »Darf ich rauchen?«
    »Nein, Maria. Sie rauchen doch auch in Ihrem Bett nicht, wenn Sie dabei sind einzuschlafen, nicht wahr?«
    »Aber ja doch. Es gefällt mir. Es gehört zu den Risiken, die ich beherrsche.«
    Papier knistert. Dr. Cooper blättert in seinen Unterlagen. Seine Stimme ist kratzig wie ein Reibeisen, eine Raucherstimme.
    »In Ihrer Akte hier sehe ich, dass Sie Ihr Leben damit zubringen, Serienmörder aufzuspüren. Für das Rauchen beim Einschlafen sind Sie ganz allein verantwortlich. Das ist sicher etwas anderes.«
    »Wollen Sie damit sagen, etwa so, als wenn ich mit geschlossenen Augen am Rande einer Klippe entlangspaziere?«
    Der Anflug eines Lächelns tritt auf Marias Züge.
    »Als kleines Mädchen bin ich immer auf der Bordsteinkante
entlangbalanciert und habe mir dabei vorgestellt, sie sei der Rand eines tiefen Abgrunds. Das hat mir großen Spaß gemacht.«
    »Erinnern Sie sich daran?«
    Maria hört die Kinder hinter den großen Fenstern spielen. Der Ball prallt gegen die Scheibe. Dr. Cooper zuckt leicht zusammen. Auf der Terrasse gibt eine Frau einige portugiesische Worte von sich. Die Kinder verschwinden mitsamt dem Ball.
    »Nein. Es ist ein Bild, eine Vision, die häufig auftaucht. Allerdings ist sie so wirklich, dass es mir bisweilen so vorkommt, als handele es sich um eine Erinnerung. Wie der Geruch nach Sonnencreme und heißem Sand, der einem im Kopf herumschwirrt. Der Geruch nach Urlaub, Sonne und Glück.«
    »Das ist eine residuelle Amnesie. Ihr Gehirn hat vergessen, dass es sich erinnert, und füllt die Lücken mit Gerüchen und Geräuschen. Es fordert die anderen Sinne dazu auf, die Verbindung zur Erinnerung wiederherzustellen. Sind Ihre Augen nach wie vor geschlossen?«
    »Ja.«
    »Wie alt ist das kleine Mädchen in Ihrer Vision?«
    »Acht Jahre, vielleicht zehn. Ich weiß lediglich, dass es Geburtstag hat.«
    »Und es balanciert an der Bordsteinkante entlang?«
    »Ja. Und zwar mit seitlich ausgestreckten Armen. Es ist Winter. Die kalte Luft brennt ihr in der Lunge. Sie trägt Fausthandschuhe und eine dicke Mütze, deren Wolle sie auf der Kopfhaut kratzt. Sie spürt, wie ihr der Atem über die Lippen strömt. In ihrem Mund ist er lauwarm, aber eiskalt, wenn er an ihrer Nasenspitze vorüberstreicht.«
    »Wo befindet sie sich?«
    »In Boston, im Staat Massachusetts. Kennen Sie den Winter in Boston, Doktor?«

    »Nein.«
    »Er ist kalt und lautlos.«
    Maria hört, wie sich Dr. Cooper in seinem Sessel bewegt. Der Stoff seines leichten Baumwollanzugs scheuert am Leder. Er kritzelt einige Worte aufs Papier.
    »Wonach riecht es?«
    »Nach Asphalt, Laub und Kanalisation. Nach dem lauwarmen Dunst, der aus den Kanaldeckeln aufsteigt. Ein Geruch wie von Erbrochenem und nassen Plastiktüten.«
    Marias Nasenlöcher weiten sich.
    »Und nach Kerosin riecht es.«
    »Nach Kerosin?«
    »Ja. Soeben hat eine 747 im Landeanflug auf den internationalen Flughafen Logan die Backsteinhäuser von East Somerville überquert.«
    »Was ist an jenem Tag geschehen?«
    »Crosskiller.«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben vorhin gesagt, dass ich Serienmörder jage. In Wahrheit bin ich hinter Crosskillern her, kaltblütigen, durch die Lande ziehenden Mördern.«
    »Was ist der Unterschied?«
    »Serienmörder sind Triebtäter. Sie töten, um nicht länger zu leiden, um die entsetzliche Spannung abzubauen, die sie zum Morden treibt. Kaltblütige Mörder folgen keinem Zwang, sie morden, weil sie es wollen. Sie hören keine Stimmen und gehorchen auch keinem göttlichen Auftrag. Sie sind vollständig in die Gesellschaft integriert, haben einen einträglichen Beruf, der es mit sich bringt, dass sie viel reisen. Das nutzen sie, um zu töten. Sie tun das gern, und sie leisten ganze Arbeit.«
    Die Feder von Dr. Coopers Füller verhakt sich im Papier.
    »Warum jagen Sie speziell diese Art von Mördern?«

    »Weil ich mich in sie hineinversetzen kann. Ich weiß, wie sie
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