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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Autoren: Patrick Graham
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ticken.«
    »Und was macht Ihnen Angst?«
    »Was mir Angst macht?«
    »Ist es der Gedanke, wie sie zu sein?«
    »Würde Ihnen das Angst machen?«
    »Ich glaube, ich würde vor Angst sterben.«

2
    Eine Fliege prallt gegen das Glas. Das Summen wird nur kurz unterbrochen, dann fliegt sie aufs Geratewohl weiter. Dr. Cooper folgt ihr mit den Blicken. Er wählt seine Worte sorgfältig.
    »Wollen wir uns wieder mit dem kleinen Mädchen beschäftigen, das in Boston an der Bordsteinkante entlangbalanciert, um Angst zu empfinden...«
    »Sie wollen wohl sagen, am Rande des Abgrunds?«
    »Wenn Ihnen das lieber ist.«
    »Sie geht Schritt für Schritt weiter. Ein Auto streift sie. Es fährt ganz langsam. Aus dem halb geöffneten Fenster dringt der Geruch einer Zigarre. Der Duft nach Lakritz und rauchigem Stroh. Etwa so wie geräucherter Schinken, nur ohne den Fleischgeruch. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Der Geruch nach Holz, aber nicht der nach Fleisch.«
    »Genau. Der Geruch einer Räucherkammer. Buchenholz, Lakritz und Stroh. Die Maschine, die Krebs erzeugt.«
    »Macht Ihnen das auch Angst?«
    »Was?«
    »Krebs.«
    »Ja. Aber es gefällt mir auch. Ich habe gern Angst vor etwas, gegen das ich mich nicht wehren kann. Ich würde
gern mit pfeifendem Atem krepieren, während sich die Lunge in meiner Brust mit Eiter anfüllt. Gesund zu sterben, wäre mir zuwider. Ich fände das unanständig.«
    Dr. Cooper blättert in seinen Unterlagen.
    »Wie haben Ihre Visionen begonnen?«
    »Nach einem Frontalaufprall unseres Wohnmobils auf Baumstämme, die ein Holztransporter bei Glatteis auf der Autobahn verloren hatte.«
    »Wer saß am Steuer des Wohnmobils?«
    »Mark, mein Lebensgefährte. Er ist dabei umgekommen.«
    »War noch jemand im Wagen?«
    »Unsere Tochter. Ich glaube, sie hieß Rebecca.«
    »Sie wissen es nicht genau?«
    »Als ich aus dem Koma aufgewacht bin, hat man mir gesagt, sie habe Rebecca geheißen. Man hat mir ihr Foto und auch das von Mark gezeigt. Ich habe keinen von beiden erkannt.«
    »Man nennt das Prosopagnosie.«
    »Was heißt das?«
    »Dass man die Fähigkeit verloren hat, Gesichter wiederzuerkennen. So etwas geschieht häufig bei schweren Traumata, die ein heftiger Schock im Schläfenlappen ausgelöst hat. Aber Sie wissen doch, dass es sich um die beiden handelt?««
    »Woher weiß man, dass der Vater eines Menschen tatsächlich der eigene Vater ist?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Weil es einem die Mutter gesagt hat.«
    »Vorausgesetzt, sie lügt nicht.«
    »Ja, aber sie könnte sich auch irren.«
    Das von der feuchten Sommerhitze gedämpfte Gesumm der Stadt Rio de Janeiro dringt an Marias Ohren. Das Rauschen der Klimaanlage, deren eiskalter Lufthauch ihr
Gesicht einhüllt. Von ferne hört sie leise Musik und Stimmen. Den Lärm der Uferpromenaden von Copacabana und Ipanema. Die Cariocas sind auf dem weißen Strand eingefallen und lassen sich mit Cayennepfeffer gewürzte und Limettensaft beträufelte Riesengarnelen am Spieß schmecken. Beim bloßen Gedanken daran läuft Maria das Wasser im Mund zusammen. Vor vier Tagen hatte sie gleich nach ihrer Ankunft mit dem Flugzeug aus Berlin ihr Hotel aufgesucht und war von dort im Badeanzug zu Fuß zum Strand von Ipanema gegangen. Links von ihr der Zuckerhut, die Bucht von Rio, im Rücken die Favelas, Zusammenballungen von Elendsbehausungen, die wie eine Lepra aus Wellblech und Zement an den Morros klebten. Die tausend Hügel von Rio.
    Als sie ihre Handtasche vor sich abgestellt hatte, war ihr von einer belustigten Gruppe Cariocas mit kupferfarbener Haut bedeutet worden, wer nicht bestohlen werden wolle, müsse alles Mitgebrachte im Sand vergraben. Sie hatte ein Handtuch und einen Tiegel billige Sonnencreme herausgenommen und die Creme auf ihrer weißen Haut verstrichen. Sie hatte die glühende Hitze des Sandes auf dem kurzen Weg zum Wasser unter ihren Füßen genossen, bevor sie sich von der Kühle des Meeres Fußgelenke und Waden umspielen ließ. Danach hatte es sich wie eine Liebkosung um ihre Taille gelegt. Sie hatte inmitten der Menge Badender mit den Ellbogen gerudert und mit ihnen gelacht, während sie spürte, wie ihr die heranrollenden Brandungswellen gegen Brüste und Schultern schlugen und den Geruch nach Salz und Fisch mit sich brachten.
    »Als ich sechs Monate später aus dem Koma erwachte, haben mich Visionen von Mordfällen heimgesucht. Dabei ging es um verschwundene kleine Mädchen und Lustmörder. Ein Psychiater hat mir erklärt, dass so etwas
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